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  • AutorenbildMarc

Vergiftung im Iran


Der Grenzübergang verlief problemlos. Auf beiden Seiten sollte man (wie immer) die Taschen vom Rad entfernen, damit alles gescannt werden konnte. Wir bekamen diesmal keinen Stempel in den Pass, sondern auf unserem ausgedrucktem Visa. Der Iran sollte uns vor ganz neuen Herausforderungen stellen. Eine davon ist es, überhaupt an Geld zu kommen. Iran ist nämlich vom internationalen Zahlungsverkehr aufgrund Sanktionen ausgeschlossen. Mit einer Kreditkarte kommt man hier also nicht weit. Wir wurden nach dem Grenzübergang direkt gefragt ob wir Geld wechseln wollen. Wir wurden aber bereits gewarnt, dass der Wechselkurs hier besonders schlecht sein soll bzw, die Gebühren sehr hoch. Wenn wir den gewünschten Wechselkurs zeigten, wurden wir direkt ignoriert. Dann eben nicht. Wir versuchten es weiter und wollten auch erstmal nur 10 US Dollar wechseln, um nicht so viel Gebühren zu zahlen. Wir suchten uns ein schattigen Platz und fragten die Leute, wo oder bei wem wir hier Geld wechseln können. Es wurde nur mit dem Kopf geschüttelt. Plötzlich stand jemand neben uns und wollte uns unbedingt Geld schenken. Daraufhin rannte er mit seiner Bankkarte los und kam mit einer Million Rial wieder oder 100.000 Toman, was etwa 2 US Dollar entspricht. Im Iran herrschen nämlich zwei Währungen vor, was das ganze extrem kompliziert macht. Zudem sind gleichwertige Scheine unterschiedlich eingefärbt. Wenn der Iran was kann, dann Verwirrung stiften. Denn die beiden Währungen verwirren sogar die Einheimischen. Wie bereits erwähnt ist die offizielle Währung der Rial, aber jeder redet in Toman. Beim Toman fehlt lediglich eine Null, aber teilweise werden die weiteren 3 Nullen auch noch weggelassen. Ein Beispiel: 1 Dollar sind 500.000 Rial = 50.000 Toman oder gerne auch mal nur 50. Das soll mal einer verstehen. Der nette Herr, der uns das Geld schenkte, lehnte unser Angebot (1 US Dollar) ab. Er war einfach nur dankbar, dass er uns helfen konnte. Unglaublich nett. Die Million Rial würden aber nur für ein Restaurant Besuch reichen. Wir bräuchten auf jeden Fall mehr. In der nächsten Stadt entdeckten wir eine Bank. Unsere Wechselanfrage wurde wieder abgelehnt, aber ein junger Mann aus der Bank wollte uns helfen und wir sollten ihm folgen.

Vor einem verschlossenen Laden sollten wir halten und es kamen immer mehr Leute hinzu. Es wurde in einer der vielen persischen Sprachen diskutiert. Einer von ihnen sagte uns, was wir für 50 US Dollar bekommen würden und telefonierte darauf hin. Wenig später kam eine Frau Auf dem Beifahrersitz angefahren und wedelte mit einen großen Batzen Geld aus dem Fenster. Uns wurden 23 Millionen Rial übergeben und nochmal eine Million als Geschenk. Klingt ein bisschen absurd, läuft hier aber öfters so. Aber unterm Strich hatten wir jetzt insgesamt 25 Millionen Rial gegen 50 USD eingetauscht. Bei einem Kurs von 500.000 Rial / 1 USD haben wir also keine Gebühren bezahlt. Das sollte erstmal reichen. Er erklärte uns noch, was wir für welches Geld bekommen würden. Zum Beispiel kostet ein Restaurantbesuch etwa 1-2 Million Rial pro Person. Das wollten wir auch direkt mal testen. Wir suchten uns ein Imbiss, da wir auch langsam Hunger hatten. Wir bekamen beide eine Suppe vorweg, anschließend jeder ein großen Teller mit Reis und Hähnchenspieß. Dazu noch Getränke. Das machte dann insgesamt 3,6 Millionen. Eigentlich ganz ok, aber der Restaurantbesuch sollte uns noch zum Verhängnis werden.

Wir fuhren weiter an der aserbaidschanischen Grenze entlang. Die kurvigen Straßen bescherten uns entweder Rückenwind oder auch mal starken Seitenwind, der uns hin und wieder in den Graben schob. Die Sonne brannte und Julia's Tacho zeigte mittlerweile 42°C an. Irgendwann fühlte Julia sich nicht so gut, ihr wurde übel und sie wurde immer langsamer. Irgendwas stimmte da nicht. Wahrscheinlich kamen wir noch nicht so ganz auf die Hitze klar. Da wir auch bald wieder Getränke brauchten, entschieden wir uns im nächsten Ort Marazad einzukaufen. Als ich in den Laden ging, legte sich Julia direkt vor einer Werkstatt in einen schattigen Fleck, sie konnte sich kaum noch aufsetzen um was zu trinken. Der Besitzer winkte uns zu, wir könnten uns bei ihm in seiner Werkstatt aufhalten. Hier war es auch deutlich kühler. Julia bot er sogar an, sich auf das Bett im Nebenraum zu legen, was eher aus einem Tisch und einer dünnen Matte bestand. Sie war einfach nur froh zu liegen. Ich ging zu dem Besitzer in sein Büro, der mir direkt Tee einschenkte. Er hieß Hossein und es wurde erstmal Instagram ausgetauscht. Er zeigte mir, dass er schon mehrere Touristen empfangen hatte. Plötzlich merkte ich auch, dass es mir langsam nicht gut ging. Ich deutete ihm an, dass ich nach Julia sehen würde, ging hinaus und steuerte auf die Toilette, zu, schaffte es aber nur bis zum Waschbecken. Irgendwas musste da unbedingt raus. Ich meinte zu Julia, dass ich mich gerade übergeben hatte und wir hatten sofort unser Mittagessen in Verdacht. Meistens übergibt man sich ein paar Mal, dann ist der Übeltäter draußen. Aber dem war nicht so.

Ich legte mich auf Boden in dem kleinen Raum und krümmte mich immer mehr vor Schmerzen im Magen und später auch in der Speiseröhre. Mehrmals musste ich aufspringen und zum Klo laufen. Auch Julia fing an sich mehrfach zu übergeben. Das Schlimme war, dass irgendwann nichts mehr kam und so krampft der ganze Magen und man hatte das Gefühl, der Körper würde innerlich zerreißen. Meine Schmerzen wurden bald unerträglich. Hossein kam zu uns und teilte uns mit, dass wir bei ihm zu Hause essen würden. Daran war aber gerade überhaupt nicht zu denken. Ich lag einfach nur auf dem Boden und wechselte die Liegeposition im Sekundentakt. Zu allem Überfluss kam auch noch Durchfall hinzu. Also die 8 Liter Flüssigkeit, die wir zu uns nahmen, waren wie weggezaubert und trinken konnten wir nichts. Julia hatte es zum Glück nicht ganz so doll erwischt. Sie hatte von dem Hühnchen auch ein bisschen weniger als ich. Hossein wollte uns ins Krankenhaus fahren, die Fahrt würde etwa 15min dauern. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte und willigte ein. Während der Fahrt saß ich nur auf dem Beifahrersitz und hielt die Augen meist geschlossen. Ich blinzelte ab und zu, weil die Blitze in der Ferne die karge Mondlandschaft erhellten. Den Zustand des Autos konnte ich durch die Geräusche erahnen und weil mir gelegentlich Benzingeruch in die Nase stieg. Beim Öffnen der Augen sah ich auch, dass man sich gelegentlich auf der Gegenfahrbahn befand oder nur wenige cm an der Heckstoßstange eines anderen Fahrzeugs, um möglichst bald im Dunkeln und bei schlechter Einsicht überholen zu können. So ließ ich die Augen doch besser geschlossen. Im Krankenhaus angekommen steuerte ich einfach nur direkt auf eine Sitzreihe aus Metall zu, um mich wieder hinzulegen. Wenn wir von A nach B liefen, war ich nur noch wackelig auf den Beinen unterwegs. Julia erklärte in der Zeit, was passiert ist. Es läuft hier in etwa so ab, dass man erstmal bezahlt, um einen Arzt sprechen zu können. Danach bezahlt man für die Behandlung und das gesamte Material nochmal extra (Spritzen, Medikamente etc.). In unserem Fall übernahm die ganzen Kosten unser Gast Herr.

Das Krankenhaus war in einem katastrophalen Zustand. Nicht besonders sauber und auf dem viel zu kleinen Bett, wo ich drauf liegen sollte, waren noch Blutreste vom Patienten vor mir. Sofort kam mir in den Sinn, dass die Hygienestandards sehr gering sein mussten und bat Julia darauf zu achten, dass möglichst sauber gearbeitet wird. Die Spritze wurde gerade frisch ausgepackt und ich bekam eine Kochsalzlösung. Da ich die Augen eh kaum aufhalten konnte, ließ ich sie einfach zu und blinzelte nur manchmal. Irgendwann bin ich dann endlich mal eingeschlafen, wenn man das Schlaf nennen konnte. Ich bekam noch mit, dass sich der Arzt Sorgen machte, da mein Sauerstoffgehalt im Blut zu gering war. Also bekam ich noch frischen Sauerstoff zugeführt. Während ich im Jenseits dämmerte, unterhielt sich Julia mit dem jungen Arzt. Als er die Herkunft erfuhr wurde sie erstmal klassisch nationalsozialistisch gegrüßt. Nicht das erste mal, dass uns sowas passiert. Gerade die Arabischen hegen große Sympathie für unsere Vergangenheit. Hier wird wieder einmal der Bildungsstand deutlich. Nach einer Stunde wurde ich geweckt und sollte mich aufrichten. Das ging soweit auch ganz gut. Wir gingen wieder zum Auto und fuhren zurück zu ihm nach Hause. Da ich jetzt wach war, bekam ich jetzt das volle Ausmaß der Fahrweise zu sehen. Als ob es keine Verkehrsregeln geben würde. Abgebremst wurde nur, wenn man mal nicht überholen konnte oder bei kleinen Geschwindigkeitsbegrenzern. Mit den leichten Schmerzen, die ich immer noch hatte, war das wie eine Achterbahnfahrt durch die Hölle. Aber wir kamen wieder sicher bei ihm Zuhause an. Auf dem Wohnzimmerteppich wurde bereits eine Picknickdecke mit Plastiktuch ausgebreitet. Hier sollten wir vielleicht erwähnen, dass das Wohnzimmer ausschließlich aus Teppich und einem großen Fernseher bestand.

Sofa, Tische oder Schränke gab es keine aber angrenzend eine sehr gut ausgestattete Küche. So ließen wir uns im Schneidersitz auf dem Boden nieder, während groß "aufgetischt" wurde. Wir konnten noch nicht wirklich was essen und beschränkten uns auf Suppe und ein paar Pommes. Es gab auch Reis und Hühnchen, also genau das, was wir zum Mittag hatten. Es sah alles so lecker aus, aber wir konnten einfach kaum was essen. Allerdings haben wir bei Tee und Cola nicht gespart, weil wir einfach einen unendlichen Durst hatten. Es war mittlerweile schon fast Mitternacht und wir saßen noch lange zusammen und führten Gespräche über den Google Übersetzer. Manchmal ist die Übersetzung ziemlich witzig oder merkwürdig. Zum Beispiel der Satz "nach dem Essen gehst du auf die Toilette". Das sollte eher heißen, dass wir danach die Dusche nutzen dürfen. Die tat auch sehr gut und anschließend gab es wieder Tee. Hossein zeigte mir ganz stolz, dass er eine deutsche Maschine zur Maschendrahtzaunherstellung gekauft hatte. In seiner Werkstatt sahen wir bereits, dass er unter anderem auch Zäune herstellte. Da wo jetzt auch unsere Fahrräder parkten. Wir durften dann zusammen im Ehezimmer oder Kinderzimmer (wir konnten es nicht eindeutig identifizieren) schlafen, die Familie schlief im Wohnzimmer. Betten gab es nicht, dafür aber bequeme dünne Matten und ziemlich warme Decken. Wir waren einfach nur todmüde und schliefen bis 9 Uhr. Erleichtert stellten wir fest, dass bis auf die Mutter auch die anderen noch schliefen. Dann gab es Frühstück, welches eigentlich immer aus Butter, Ei, Noppenfolienbrot (sehr dünnes Brot, das nach nichts schmeckte), Feta und einer selbstgemachten Marmelade bestand. Dazu gab es wie immer Tee. Anschließend ging es in die Werkstatt und wir wir wollten noch unsere Kosten ausgleichen, was auch nach mehrmaligem Bitten abgelehnt wurde. Es wurden noch ein paar Bilder zum Abschied gemacht und wir fuhren weiter. Eigentlich wollten wir einen Bus nehmen, aber es fuhr keiner vom Dorf. Daher mussten 28km zum nächsten Busterminal zurückgelegt werden. Nach 1 Kilometer stellten wir fest, dass das nicht möglich war. Wir waren einfach zu schwach. Also stellten wir uns an die Kreuzung und ein netter Mann half uns einen Transporter anzuhalten. So fuhren wir mit 3 netten Jungs in die nächste Stadt. Am Busterminal sagte man uns, dass nur ein Bus für Männer um 15:00 Uhr fahren würde (sehr seltsam, auch die Einheimischen, die wir danach fragten, hatten so etwas noch nie gehört). Sie wollten, dass wir die Räder auf 2 kleine Taxen spannen sollen und so nach Tabris fahren. Wir fürchteten aber um die Unversehrtheit unserer Räder und lehnten ab. So fuhren wieder an die nächste Kreuzung, machten wieder auf uns aufmerksam und wurden prompt mitgenommen. Die Fahrt dauerte ca. 1,5 Stunden. Marc schlief während der Fahrt zwischen den Rädern auf der Ladefläche. Als er uns rausließ, wollte er Geld haben und das nicht gerade wenig. 20 Dollar für den Transport fanden wir schon ziemlich frech. Es wurde dann ein wenig gefeilscht und diskutiert mit umstehenden Leuten und wir konnten uns auf 10 Dollar einigen. Wir waren einfach nur froh, dass wir es dann endlich geschafft haben in einem Hostel in Tabris anzukommen.





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