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  • AutorenbildMarc

Police Academy Georgia

Die Nacht war ein wenig unruhig. In den frühen Morgenstunden hat es geregnet, was im Zeltinneren zu einer hohen Geräuschkulisse geführt hat. Gegen 8:30 kam dann das böse Erwachen. Jeden Morgen, wenn der Kopf aus dem Zelt gestreckt wird, dreht er sich mittlerweile automatisch zu den Fahrrädern. Unser erster Gedanke war wie immer: "Fahrräder sind noch da". Erleichtert stiegen wir aus dem Zelt. Doch Juli schrie plötzlich auf: "Meine Tasche ist weg". Um die Fahrräder besser anschließen zu können, hatten wir die meisten Taschen abgebaut und mit ins Zelt genommen. Bis auf eine. Juli's Seitentasche war tatsächlich verschwunden. Sofort prüften wir alle anderen Taschen am Rad, die offensichtlich noch vorhanden waren. Der nächste Schock: ihre Fronttasche war komplett aufgeschnitten. Brille und Kopfhörer fehlten, sowie unsere Zahnbürsten. Die Diebe mussten es echt nötig gehabt haben, benutzte Zahnbürsten mitzunehmen. Eine fordere Seitentasche war ebenfalls leicht aufgeschnitten. Offenbar waren die Diebe zu dämlich, sie einfach zu öffnen. Zumal die obere Tasche sogar offen war. Aber es schien so, als würde es ihnen Spaß zu machen, einfach fremdes Eigentum zu zerstören. Denn ihre Handyhalterung wurde zum Teil einfach zerrissen. Warum tut man sowas? Für die vorderen Seitentaschen hatten sie zum Glück wohl nicht mehr genug Zeit. Der Inhalt war noch vollständig. Allerdings war ebenfalls ein Band vom danebensitzenden Flaschenhalter durchschnitten. Das habe ich noch weniger verstanden, da man da auch sehr schlecht rankommt. Wie dem auch sei, der Schock saß tief. Unsere Wut kann man kaum in Worte fassen. Gedanklich ging man alles durch, was nun alles weg war und man wurde nur noch wütender. An meinem Rad war die Rahmentasche geöffnet und nur Kettenschmierung, Inbusschlüssel, Kopflampe und Luftpumpe fehlten. Die kleine Tasche darüber war hingegen komplett ausgeräumt: Messer, Besteckset, Reifenheber und vor allem die Brausetabletten waren anscheinend sehr beliebt. Sofort prüfte ich auch das Zelt, ob irgendwas durchgeschnitten wurde. Aber das blieb zum Glück unversehrt. Und an den Rädern war sonst auch nichts weiter beschädigt.

Der nächste Gedanke war Polizei. Zum einen als Nachweis für unsere Versicherung, zum anderen, weil irgendwo eine minimale Hoffnung besteht, dass wir die Sachen dadurch wieder bekommen könnten. Aber wir wissen alle, dass das nicht passieren wird. Wir wählten die 112, die in vielen Ländern als allgemeinen Emergency Call gilt. Die Polizei ging ans Telefon und schnell war auch eine einigermaßen englischsprachige Frau am Hörer. Nach kurzer Erklärung kam die Frage nach dem Ort. Obwohl wir den ziemlich genau beschrieben haben, konnte sie es nicht so richtig begreifen. Die Polizei wurde losgeschickt und würde sich dann melden, wenn sie uns nicht finden würde, was tatsächlich passierte. Zwei Mal. Schon schwierig, sich in einer so kleinen Stadt zurecht zu finden. Nach einiger Wartezeit tauchte endlich ein Polizeiwagen auf. Die beiden Männer sahen gar nicht wie Polizisten aus. Jeans, Schlabberpulli und die Knarre steckten quasi in der Hosentasche. Das Schweigen und gleichzeitige Anstarren zeigten uns sofort, dass die verbale Verständigung schwierig werden würde. Aber mit Zeichensprache und einzelnen Worten konnte man verständlich machen, dass etwas gestohlen und beschädigt wurde. Zum Glück gab es ja noch den Google Translator. Nach den üblichen Fragen wie "wo kommt ihr her" und "seit wann seid ihr hier" gingen sie etwas umher. Wir sollten warten, sie wären bald wieder da. Kurze Zeit später kamen zwei neue Polizeiwagen mit 4 weiteren Polizisten. Sie fragten, wo die anderen Polizisten seien. Reden die auch mit einander? Denen sollten wir das ganze nochmal erklären. Einer von ihnen konnte etwas Englisch, aber das genügte einfach nicht. So musste mal wieder der Google Translator mit heruntergeladener "Georgien-Tastatur" herhalten. Polizisten kamen und gingen. Zwischenzeitlich saßen 8 Polizisten mit uns in dieser kleinen Hütte neben unserem Zelt, was wir auf gar keinen Fall abbauen durften. Wahrscheinlich fürs Foto.

Sie diskutierten untereinander und stellen uns zwischendurch Fragen. Die Unterhaltung erweckte in mir den Eindruck, dass eine gewisse Ratlosigkeit herrschte. Das alles kam uns nicht besonders kompetent vor. Aber das war nur eine Vermutung. Manche schauten irgendwelche Videos auf dem Handy oder telefonierten zwischendurch. Mittlerweile war es schon Mittag und wir hatten noch nichts gegessen, außer vielleicht mal Brot und Kekse genascht. So packte ich vor den Polizisten unseren Benzinkocher auf den Tisch und machte mir einen Kaffee. Dazu gab es Müsli, wo Juli noch Banane und Apfel hineinschnippelte. Doch unser Mittagessen wurde durch ein weiteren Polizeiwagen unterbrochen, welches den absoluten Höhepunkt des ganzen Spektakels darstellte: Es stieg eine superwichtige, aufgetakelte Inspektorin aus dem Wagen. Sie hatte ihr Spezialkommando dabei: ein Fotograf und ein Mann mit dem klassischen "Tatort-Absperrband". Diese trugen blaue Untersuchungshandschuhe, um keine Spuren zu verwischen (Nachdem wir da gekocht und fast alles schon alles eingepackt hatten). Abgerundet wurde die Truppe mit einem schmuddelig aussehenden Band-Mitglied, der uns als Dolmetscher dienen sollte. Sein Englisch war aber noch schlechter als meins in der 5. Klasse. Und wieder sollten wir alles nochmal ganz genau erklären, die Aufmerksamkeit der Dame hielt sich aber in Grenzen. Mittendrin wurden wir dann unterbrochen. Denn plötzlich mussten wir den Bereich für die Spurensicherung räumen. Unser Zelt, die Taschen und unsere Fahrräder bekamen ein ganz privates Fotoshooting. Inklusive angebrochenes Müsli (Meinen Kaffee nahm ich besser mit). Dafür wurde extra das Absperrband angelegt. CSI lässt grüßen. Nein, hier ist kein Mord passiert, wir sind nur beklaut worden. Aber das musste wohl alles total wichtig aussehen. Die Polizeiwagen waren mittlerweile von zahlreichen Straßenkühen umgeben, die plötzlich auftauchten. Jetzt waren definitiv genug Bullen vor Ort.

5 Stunden sind mittlerweile vergangen und auf einmal sollte alles ganz schnell gehen. In Windeseile bauten wir unser Zelt ab und stopften noch den Rest Müsli in uns hinein. Wir bauten unser abrupt leichter gewordenes Gepäck auf unsere Fahrräder. Die immer wieder auftretenden Wartezeiten hatte ich bereits genutzt, um zu testen, ob man die obere Tasche befestigen kann, wenn eine Seitentasche fehlte. Das klappte soweit ganz gut. Wir sollten zur nächsten Polizeistation zwecks Datenaufnahme fahren. Das Gebäude ähnelte eher einer Bruchbude, die von einem obdachlosen Hund bewacht wurde. Die verbauten Fliesen auf dem Boden waren teils lose oder schief. Während wir über die Treppen ins oberste Stockwerk wechselten, verursachten meine Klickschuhe ein lautes Krachen, was eine Fliese in einen Krater verwandelte. Hat keiner bemerkt, das war schon so. Hinzu kam, dass wir mit unseren Schuhen den ganzen schwarzen Lehm vom Strand in unregelmäßigen Abständen im ganzen Polizeirevier verteilten. Naja, so würden wir zumindest wieder raus finden. Die Tische im Büro fielen an einigen Ecken schon auseinander und waren übersät mit getackerten Papierstapeln. Wahrscheinlich Polizeiberichte, Regale mit Ordner gab es hier keine. Lediglich ein paar Zentimeter vor der Tastatur hat man Platz gefunden. Ein Mann saß so tief in seinem Lehnstuhl, dass sein Kinn etwa auf Tischhöhe war. Es begann eine absurde Datenaufnahme. Passports, Wohnort, Name des Vaters, Telefonnummer etc. Die Passports habe ich vier mal rausgeholt und wieder eingesteckt. Schienen wohl immer wieder was vergessen zu haben. Dann sollten wir handschriftlich auf einem leeren Blatt Papier in Englisch aufschreiben, dass wir unsere Angaben gemacht haben und diese gemäß Übersetzer richtig sind. Mit Unterschrift. Juli bekam mittlerweile extreme Kopfschmerzen, weshalb ihr auch noch übel wurde. Es sind mittlerweile fast 8 Std vergangen und so langsam wollten wir ins Hotel bzw. hatten wir uns ein günstiges Gasthaus rausgesucht. "Noch 10 Minuten" hieß es dann. Endlich konnten wir gehen. Ich fragte noch, ob wir eine Kopie von dem Polizeibericht haben könnten. Den brauchen wir nämlich für unsere Versicherung und deswegen waren wir ja auch hier. "Nein, den bekommt ihr nicht. Das verbietet unser Gesetz". So langsam wurde ich sauer. Juli bemerkte dies und versuchte mich etwas zu beruhigen. Während ich meinen Zorn in Schach hielt, erklärte ich höflichst, dass wir dringend einen Polizeibericht für die Versicherung benötigen. Untereinander wurde heftig diskutiert. Nach mehrfachen Erklärungen haben sie es scheinbar verstanden. Unser "Dolmetscher" nahm mein Handy und tippte wieder georgische Schriftzeichen in den Google-Translator. Die englische Übersetzung ergab überhaupt keinen Sinn, sollten sie aber dennoch handschriftlich auf ein leeres Blatt Papier schrieben. Mussten wir unseren Polizeibericht nun selbst schreiben? Juli, die kaum noch ein Wort rausbringen konnte, sollte diese absurden Sätze mit irgendeinem diktierten Namen und Nummer auf das Blatt Papier schreiben. Ich konnte mich nur noch an den Kopf fassen.

So einen inkompetenten Haufen habe ich zuletzt bei Police Academy gesehen. Die Frau eröffnete ein neues Dokument am PC und fing an den ihr vorliegenden Original-Polizeibericht abzutippen. Na Gott sei Dank. Nun bekamen wir doch noch unseren Bericht. Etwas verkürzt und in unverständlichen georgischen Schriftzeichen, aber immerhin. Vielleicht hat die Versicherung ja jemanden aus Georgien da sitzen, der das entziffern kann. Wir bedankten uns und verließen das Revier auf Zehenspitzen, damit nicht noch eine Fliese platzt. Unsere Dreck Krümel zeigten uns den Weg hinaus. Schnell auf die Räder und ab zum Gasthaus, was Juli in der Wartezeit schon gebucht hatte. Sie fiel direkt ins Bett, denn ihre Kopfschmerzen waren mittlerweile unerträglich. Ich bemerkte gegenüber einen Einkaufsladen. Naja, nennen wir es Kiosk. Immerhin gab es Zahnbürsten und Zahnpasta und ein paar Snacks. Von diesem Tag mussten wir uns erstmal erholen und uns dann Gedanken machen, wie es weiter geht, bzw. wie wir unsere Sachen ersetzen können.


Positive Nachrichten gab es am nächsten Morgen: wir haben unser Erlebnis mit der WhatsApp Gruppe CYCLING EAST geteilt. Die Gruppe besteht aus über 700 Mitgliedern und die meisten davon sind ebenfalls gerade mit dem Rad irgendwo in Asien unterwegs. Hier werden Erfahrungen ausgetauscht und bei Problemen versucht man Lösungen zu finden. Und wie sich nun herausstellte, flog ein deutscher Radreisender von Trabzon für zwei Wochen in die Heimat. Er hat sich bereit erklärt, für uns ein paar Dinge mitzunehmen. Mir kam sofort die Idee, dass wir uns einfach rechtzeitig wieder in Batumi einfinden und ich dann mit dem Rad allein und ohne Gepäck nach Trabzon fahre. Ca. 200km. Am Flughafen würde ich dann unsere Sachen inkl. neuer Ortlieb Tasche entgegennehmen und wieder zurückfahren. Wahrscheinlich müsste ich dann eine Nacht in Trabzon verbringen. Wir besprachen unseren Plan mit Eric, unserem neuen Kontakt. Wir versuchten natürlich einiges hier zu besorgen, bzw. beschädigtes Material zu reparieren. Die Sachen, die wir neu aus Deutschland kaufen mussten, lagen bei 760€. Ganz schön heftig, wenn man bedenkt, dass das nur ein Bruchteil unserer Ausrüstung war.

Bevor das passieren konnte mussten wir aber leider unsere Unterkunft verlassen, da diese für die nächste Nacht bereits ausgebucht war. Wir packten zusammen und irrten in der Stadt umher, um ein neues Hotel zu finden. Hilfe gab es dabei von einem Polizisten, die wir bereits kannten. Wir wurden zu einem Hotel eskortiert, wo wir sogar einen günstigen Preis aushandeln konnten. Während ich draußen die Räder bewachte, hielt direkt neben mit ein neuer Polizeiwagen. Diesmal war der Polizist entsprechend gekleidet. Kein Schlabberpulli oder Poloshirt sondern eine deutlich erkennbare Polizeiuniform. Er fragte, wo wir herkommen und machte Bilder von mir und meinem Pass. Mittlerweile müsste doch schon das ganze Dorf wissen, dass wir da sind. Er erlaubte uns daraufhin in dem Hotel einzuchecken - wie großzügig von ihm. Das kam uns schon sehr komisch vor, da von Juli weder ein Bild vom Pass noch von ihr gemacht wurde. Sie wurde quasi ignoriert. Die Dame an der Rezeption erklärte uns, dass jeder Fremde kontrolliert wird, um zu prüfen, ob man aus Russland sei. Die scheinen hier wohl nicht besonders beliebt zu sein. Wenn man bedenkt, dass 20 % des Landes vom Russen kontrolliert wird und die Georgier ständig Angst vor einem neuen Konflikt haben, ist dieses Handeln durchaus nachvollziehbar. Wir erleichterten unsere Räder und machten uns auf den Weg zum nächstgelegenen Markt. Ziel war es einiges unserer Verluste auszugleichen und um geeignetes Material für eine Reparatur der Taschen zu finden. Außerdem musste schnell eine neue Seitentasche oder eventuell ein großer Korb gefunden werden, den man an Juli's rechte Gepäcktragerseite befestigen könnte. Für die kaputten Taschen fanden wir schnell einen Schneider und einen Schuhmacher. Großartige Arbeit. Und das für sehr wenig Geld. Als wir die Fronttasche abholten, wollte der Mann nur 5 Lari haben (1,80€). Juli war so begeistert, dass sie ihm 10 Lari geben wollte. Sie hat richtig darauf bestanden für diese gute Arbeit mehr zu bezahlen. Aber sie hatte keine Chance. Auf dem gezahlten 10er kam ein 5er zurück. Unbegreiflich, dass jemand einfach Geld ablehnt, für das sogar gute Arbeit geleistet wurde. Juli war jedenfalls überglücklich, dass ihre Tasche wieder repariert war. Die vordere Seitentasche konnten wir ebenfalls abholen, die nun von einem Flicken geschmückt wird. Für die Reparatur beider Taschen hatte Juli insgesamt 6 Euro bezahlt. Für die hintere Tasche entscheiden wir uns für einen Mülleimer, da er die perfekten Maße hatte und leicht anzubringen war. Das sollte unsere neue Futterbox werden. Befestigt mit Kabelbinder bekam er auch noch einen neuen Schriftzug. Unser letzter Stopp sollte der örtliche Carrefour sein, ein großer Supermarkt, wo man fast alles kriegen konnte. Der Einkauf wurde neuer Inhalt für Juli's "Mülleimer".


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