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Endlich Sommer?

Nach den ganzen Höhenmetern im Großen Kaukasus waren wir endlich wieder auf Meereshöhe. Wir hatten etwas Zeit totzuschlagen, denn ein Bekannter aus Deutschland brachte uns unsere Bestellungen mit, die unsere gestohlenen Artikel ersetzen sollten. Somit verbrachten wir zwei Tage in Tskaltubo, einem Kurort mit vielen Thermalbädern. Dieser Ort hatte seine Blüte zu Zeiten der Sowjetunion, denn es war damals eines der bedeutendsten Kurstätte seinerzeit. Das Thermalwasser weist eine leichte Radioaktivität auf und wird daher als Heilwasser für Rheuma und andere Gelenkkrankheiten verwendet. Die gut Betuchten ließen es sich hier gut gehen. Auch Kunst und Kultur wurde hier gelebt. Heute gibt es nur noch ein Thermalbad und die anderen 6000 Sanatorien und Gebäude sind verfallen. Sie wurden aber von vielen Geflüchteten während des Kaukasuskriegs genutzt und umfunktioniert. Auch heute sahen wir noch Menschen, die darin leben. Wir besichtigten diese verlassenen und heruntergekommen Häuser, was echt ein wenig gruselig war. Wir fanden sogar noch Fotos und Kleidung. Zu unserem Unglück entdeckten wir auch wieder Hundewelpen, die in einem eingeschlossenen Raum waren. Wir gaben ihnen frisches Wasser, Futter lag darin und einiges deutete darauf hin, dass sich jemand um sie kümmern würde.

Am nächsten Tag fuhren wir zu heißen Quellen im Landesinneren und wollten da dem vorhergesagten Regen trotzen. Denn in heißen Schwefelquellen ließ es sich trotz Regen gut aushalten und nass war man sowieso. Dort war einiges los, viele Einheimische und Russen. Generell sah man hier extrem viele russische Touristen, wie wir nun aber gelernt haben, leben auch viele der Russen in Georgien, hauptsächlich in Tiflis. Die Georgier haben ein ambivalentes Verhältnis zu ihrem Nachbarn, denn sie wurden schließlich Jahrhunderte von dem großem Bruder unterdrückt. Die Regierung verfolgt eine prorussische Agenda, welche dadurch gerechtfertigt wird, dass man Russland nicht weiter reizen dürfe und somit die Gefahr, dass Russland auch in Georgien einmaschieren könnte, minimiert. Zudem beteiligt sich Georgien nicht an den Sanktionen zu Russland und bleibt somit neutral dem Krieg gegenüber. Die Nähe zur prorussischen Politik äußert sich auch durch politische Diskriminierung gegen Minderheiten, Religionen und Homosexualität. Vor allem die jungen Georgier treibt das in Tiflis auf die Straßen. Regelmäßig wird dort mit georgischer, teils ukrainischer und europäischer Flagge demonstriert. Sie wollen Unabhängigkeit von Russland und sprechen sich für eine westliche Richtung nach Europa aus. Besonders die Freiheit spielt für die Georgier eine enorme Rolle, wurden sie und ihre Kultur doch über 200 Jahre während der Zarenzeit und anschließend der Sowjetunion unterdrückt. Die Lage ist seit 2008 aufgrund des Kaukasuskrieges in dem besetzten Gebiet Südossetien allgemein extrem angespannt. Georgien hatte versucht das besetzte Gebiet zu befreien, wohingegen Putin in nur 5 Tagen klarmachte, wer am längeren Hebel sitzt. Eine weitere besetzte Zone ist Abchasien, beides seit dem Blitzkrieg anerkannte Staaten von Russland. Keine Ausländer (außer Russen) dürfen dort einreisen und russische Soldaten beschützen die Grenzgebiete seit 2008. Nachts werden von der russischen Armee auch gerne mal die Grenzen zu deren Gunsten verlegt, sodass Georgier, die im Grenzgebiet wohnen, ständig Angst haben entführt oder beschossen zu werden. Beides ist schon vorgekommen. Für uns ganz schön absurd. Wir sehen auf alle Fälle überall Graffiti und Wandbemalungen, die keinen Zweifel daran lassen, dass Putin (und dessen Krieg in der Ukraine) unter der Bevölkerung nicht gerade beliebt ist. Zudem zeigen sich auch viele Restaurants und Cafés solidarisch für die Ukraine, indem selbst die Speisekarten oft von blau-gelber Farbe geprägt sind oder andere eindeutige Botschaften auf T-Shirts oder ähnlichem stehen. Gleichzeitig ist das Land durch den Tourismus von den Russen enorm abhängig. Bleibt dieser aus, haben die Georgier ein echtes Problem. Bei Demonstrationen in Tiflis im Mai 2023 hat Russland direkt die Flugverbindung zwischen Russland und Georgien für kurze Zeit stillgelegt, was eine sofortige Wirkung zeigte. Fast alle älteren Georgier sprechen perfektes Russisch, auch wir werden oft gefragt, ob wir russisch sprechen, denn englisch sprechen meist nur die Jüngeren.

Daher konnten wir uns mit den Leuten an der heißen Quelle leider nicht unterhalten, aber trotzdem die Zeit. Wir hatten einen Zeltplatz etwas versteckt davon aufgebaut, da die Angst des Diebstahls noch tief saß. Aber bis ca. 3 Uhr nachts wurde wild im Pool geplantscht, somit konnten wir relativ gut schlafen und fühlten uns sicher. Am nächsten Morgen war dann die Hitze so extrem, dass wir kein morgendliches heißes Bad nehmen wollten. Wir beobachteten aber die russischen älteren Damen in Badekleidung, die schon am frühen Morgen die Hüften zu der aus dem Autolautsprecher dringende Popmusik schwangen.

Die nächsten Tage machten wir quasi Urlaub an der Schwarzmeerküste. Die Hitze war fast unerträglich. Endlich war für uns der Sommer da und wir verbrachten ein paar Nächte auf einem Campingplatz direkt am Meer. Anschließend dann noch einige Tage an den Dschungelbergen kurz vor der türkischen Grenze. Hier warteten wir auf die Ankunft von Eric, der mit unserer Bestellung im Gepäck in Trabzon landen sollte. Marc fuhr an dem Tag wieder in die Türkei, legte dabei insgesamt 370 km zurück und brachte das ersehnte Gut mit. Er brach morgens um kurz nach 9 Uhr auf und kam nach 23 Stunden wieder, sichtlich erschöpft von der Tortur. Es lief eigentlich sehr gut, nur irgendwann tat ihm ein wenig das Knie weh. Somit hatten wir nochmals einen Pausentag, welchen wir für eine vorerst letzte Entspannung nutzten. Wir verbrachten den Tag unten am Steinstrand des Ortes direkt am Grenzübergang. Die Sonne brannte gnadenlos auf uns nieder, so dass wir uns trotz der kurzen Dauer einen kleinen Sonnenbrand eingeholt hatten.


Die nächsten 3 Tage fuhren wir die kürzeste Strecke nach Armenien: über den Goderdzi-Pass im Südkaukasus. Das dieser Pass wieder etwas tricky wird, wussten wir vorher. Jedoch dachten wir es wird ja trocken und dann kann es ja nicht so schlimm werden. An dieser Stelle sei gesagt, dass die Wettervorhersage in Georgien nie gepasst hat. Stellten wir uns auf Regen ein, hatten wir unerwarteten Sonnenschein oder einfach kein Regen. Sollte es nicht regnen, kam der Regen auf jeden Fall. Der erste Tag war ein Traum. Wir fuhren flussaufwärts das Tal hoch mit ganz entspannter Steigung, alles war grün und überall wurde Rafting und Quad fahren angeboten. Es war wunderbar warm, wir gönnten uns ein tolles Mittagessen und blieben an einem sehr einladenden Flussbett, wo wir unser Nachtlager aufschlugen. Wir hatten noch Zeit für einen neuen Haarschnitt von Marc, uns im Fluss zu baden und ein paar Yogaübungen zu machen (was bei den täglichen eintönigen Bewegungen ganz gut getan hat). So wir wir uns die Reise eigentlich immer vorgestellt haben - die Realität sah aber oft ganz anders aus. Für die Nacht hatten wir einen liebevollen Begleiter, der am liebsten im Zelt geschlafen hätte. Der Rüde passte die ganze Nacht auf, gegen 3 Uhr weckte er uns und jagte in der Ferne etwas in die Flucht.

Am nächsten Morgen begleitete er uns für 15 Kilometer und bekam dabei fast einen Hitzeschlag, denn er legte sich bei jeder kurzen Pause sofort in den kleinen Bach neben der Straße. Irgendwann gab er dann auf. Wir hatten Glück, denn ein lieber Pick-up-Fahrer nahm uns ein gutes Stück mit und versorgte uns noch mit Snacks und Drinks während der Fahrt. Praktischerweise übersprangen wir so eine lange einspurige Schotterpiste, wo alle Fahrzeuge nacheinander warten mussten um rüber zu kommen. Dann ging es weiter ans Strampeln und die Straße wurde immer holpriger. Plötzlich stoppte uns wieder ein älterer Herr, der uns bat eine kurze Pause bei ihm zu machen. Er wollte uns unbedingt einladen. Dann standen wir in seinem Bauwagen, wo ein Bett, ein Fernseher und Tisch darin standen. Auf zwei Stühlen sollten wir Platz nehmen, er wusste aber nicht so recht was er uns anbieten konnte. Daher gab es Essiggurken mit einem "Milchschnaps?". So recht zuordnen konnten wir das nicht. Dann hat er uns noch einen komplett verschrumpelten Apfel geschält und trockenes Brot angeboten. Wir probierten von allem brav und wollten uns dann auf den Weg machen. Da deutete er auf seinen Transporter, und bot uns an damit nach oben (auf den höchsten Punkt des Passes) zu bringen. Da sagten wir nicht nein! Aber ein komisches Gefühl beschlich uns als er an der Tankstelle hielt und wir für die kleine Tankfüllung zahlen sollten. Aber gut, wir wollten mal nicht so knausrig sein. Der gute Mann hatte scheinbar nicht viel und schließlich brachte uns samt Gepäck und Fahrräder auf die Passhöhe. Auf dem Weg nach oben wurden die Wolken immer dichter, so dass uns die erhoffte Aussicht verwehrt blieb. Zusätzlich fing es an zu regnen. Das Fahrzeug war in einem so schlechten Zustand, dass selbst die Scheibenwischerblätter den Dienst quittierten. Zwei mal musste der Mann aussteigen um den Wischer aufzusammeln und provisorisch zu befestigen. Zudem wechselte der Straßenbelag von Schlamm und Matsch zu Geröll und Schotter mit Schlaglöchern indem man sich verstecken konnte. Asphalt war hier nicht in Sicht. Bei dieser Kombination von Fahrzeug und Straßenbelag war es ein Wunder, dass wir oben ankamen. Hier erwartete uns ein leichter Regen mit einer Sicht von maximal 5 Meter. Dankbar wollten wir das Fahrzeug verlassen, um die Reise mit dem Rad fortzusetzen. Aber der Mann wollte zusätzlich zu seiner Tankfüllung von 20 Lari noch 80 Lari haben. Insgesamt sollte das ganze also einen völlig absurden Preis von 40€ betragen. Wäre irgendwo auch in Ordnung, wenn man darüber gesprochen hätte. Wir hatten es aber tatsächlich so verstanden, dass er uns umsonst nach oben bringt. Und von den anderen Passagieren, die uns zwischenzeitlich begleiteten wurde auch kein Geld genommen. Schnell hatten wir wieder einmal das Gefühl, dass man in uns wieder nur die reichen Europäer sieht, die gerne etwas mehr zahlen können. Wir zahlen gerne für eine Dienstleistung oder für das, was wir konsumieren. Aber der Preis stand (in diesem Land) gar nicht im Verhältnis und somit startete eine Diskussion, wenn man das bei der Sprachbarriere so nennen kann. Es wurden andere Georgier gefunden, die zumindest ein bisschen übersetzen konnten. Es wurde gejammert und darauf hingewiesen, in was für einem schlechten Zustand sein Transporter wäre. Da wir bei dem nassen und auch kalten Wetter einfach nur weiter wollten, einigten wir uns auf 50 Lari (plus der bezahlte Tank).

An eine schnelle Abfahrt war nicht zu denken. Die schlechte Sicht, die Schotter-Schlamm-Straße, sowie die plötzlich auftauchenden Bagger bremsten die Fahrt sehr aus. Ähnlich wie auf dem Zagari Pass waren die Räder nach kurzer Zeit mit Schlamm umhüllt, was sogar eine Blockierung der Reifen zufolge hatte. Somit war unsere erste Anlaufstelle eine Autowaschbox, wo wir unsere Fahrräder abspritzten um sie vom Zusatzgewicht zu befreien. Eigentlich wollten wir heute mal wieder unser Zelt aufschlagen. Aber wir waren so mürbe von dieser Fahrt und dem Wetter, dass wir uns wieder in einem Gasthaus wiederfanden.


Am nächsten Tag startete die Fahrt mit Sonnenschein. Weiter ging es Richtung armenischer Grenze. Heutiges Ziel war es in der größeren Stadt Akhaltsikhe nochmal groß einzukaufen und um bei der Bank US Dollar abzuheben, die wir für die Überquerung Turkmenistans brauchen würden. Dazu aber später mehr. In der Ferne erstreckten sich Burgzinnen aus der grünen Landschaft. Eine kleine hübsche Burg, der wir nicht weiter Beachtung schenkten bis wir schließlich unterhalb der Burg entlang fuhren. Was wir erst sahen war nur ein sehr kleiner Teil der Burg. Tatsächlich war es ein riesiger Burgkomplex, der neben dem Bergfried eine Moschee, eine orthodoxe Kirche, eine Zitadelle und ein Amphitheater beinhaltet. Ich war nicht besonders interessiert, aber Marc wollte sich das nicht entgehen lassen. So blieb ich in einem Café in der Nähe der Fahrräder, während Marc den Komplex besichtigte. Ein bisschen habe ich es bereut, als ich hinterher die Bilder sah. Nach dem anschließenden leckeren Mittagessen erledigten wir unser Tagesaufgaben und fuhren weiter Richtung Grenze. Unterwegs trafen wir noch Eric, der uns entgegen kam, da er einen anderen Weg aus der Türkei nahm. Ihm haben wir es zu verdanken, dass wir unsere geklauten Sachen ersetzen konnten.

Einmal wollten wir in Georgien noch zelten, bevor es über die Grenze ging. Der Himmel kündigte aber schon wieder Regen an. So hofften wir auf eine Ruine oder irgendwas überdachtes. Nach langer Suche fanden wir ein kleines Grillhäuschen, welches sich hervorragend eignete. Wir konnten im trockenen kochen und breiteten die Isomatte unter dem Tisch aus. Wir waren so vor dem Regen geschützt aber leider nicht von der Kälte. So langsam fragten wir uns, wann bei uns endlich der Sommer ankommt.

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