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  • AutorenbildMarc

Reise aus Absurdistan

Wir hatten genug von dem Trubel in Indien und freuten uns schon sehr auf Nepal. Wir hatten uns online bereits Bustickets für eine Fahrt nach Kathmandu bestellt. Der Bus kam ursprünglich aus Delhi und legte ein Stopp in Lucknow ein. Relativ früh fanden wir uns an der lokalen Busstation ein. Dort teilte man uns mit, dass der Bus auf der anderen Straßenseite halten würde. In der Zwischenzeit wurde Juli mehrfach vom Busfahrer angerufen: der Bus hätte Verspätung und ob wir wissen würden, wo wir uns zum gegebenen Zeitpunkt einfinden sollen. Die Telefonate erwiesen sich als sehr schwierig und anstrengend. Wir hatten anfangs den Eindruck, dass so gut wie jeder arbeitsfähige Inder ein ausreichendes Englisch sprechen würde. Das war hier leider nicht der Fall. Glücklicherweise boten uns gelegentlich gut Englisch sprechende Passanten ihre Hilfe an und sie bekamen direkt unser Handy ans Ohr, um mit dem Busfahrer zu sprechen. Plötzlich hieß es, der Bus wäre voll und hätte kein Platz für Fahrräder. Wir hatten schon einige Reisebusse und es fand sich immer Platz für zwei Fahrräder. Wir hofften auf das Beste. Der um 13:30 geplante Bus kam um 15:30 an. Wir hörten bereits, dass die indischen Zeiten sehr flexibel seien.

Wir teilten einem der drei Busfahrer mit, dass wir die Fahrräder auf keinen Fall hier lassen können.

Einer von ihnen nahm die Herausforderung an und wir suchten gemeinsam nach Möglichkeiten die Fahrräder in den Bus zu quetschen. Nach einer Weile befand sich Juli's Rad inkl. separater Laufräder im hinteren rechten Gepäckfach, die Taschen wurden zum Teil im linken mittleren Fach verstaut und mein Rad wurde ohne Laufräder im Durchgang platziert, wo dann alle drüber steigen mussten. Die anderen Taschen, wie der Rucksack und meine Laufräder waren irgendwo im Bus verstreut. Ein wenig erleichtert nahmen wir unsere Plätze ein und hatten erwartet, dass wir für die Fahrräder nochmal tief ins Portemonnaie greifen müssten. Was aber diesmal nicht passierte.

Im Vergleich zu den anderen Busfahrten in Indien verlief diese relativ ruhig. Wir machten uns Gedanken über das Nepal-Visum, denn wenn wir noch heute die Grenze passieren würden, würden wir das Visum um ein Tag überziehen, denn wir hatten bereits alles genau geplant und ein Flug nach Bangkok für den 07.11. gebucht. Wir warteten mal ab, denn wir wussten in dem Moment noch nicht, an welcher Stelle wir die Grenze passieren würden. Google Maps verriet uns irgendwann die Grenze, zu die wir fahren würden. Es war die Grenze Rupadiya und es war sicher, dass wir heute noch in Nepal sind. Das dachten wir zumindest. Einer der Busfahrer drückte uns plötzlich eine Liste in die Hand. Es war die Passagierliste des Busses. Hier waren ausschließlich Nepalesen zu finden. Wir waren nicht auf der Liste und sollten uns ganz unten mit Namen und Nationalität verewigen. Wir fragten uns sowieso schon, wie so ein Grenzübergang im Bus samt Gepäckkontrolle ablaufen würde. Etwa einen halben Kilometer vor der Grenze hielt der Bus an. Ein Busfahrer hatte meine Laufräder in der Hand und ging an mir vorbei. Ich wurde aufgefordert mein Rad aus dem Bus zu nehmen. Ich hatte erst angenommenen, dass irgendwo ein Platz frei geworden war, sodass es nicht mehr den Durchgang blockiert. Dann kam der große Schock. Dieser Grenzübergang war nur für Einheimische. Aufgrund dessen wollten sie uns an Ort und Stelle auf die Straße setzen, obwohl wir ein Ticket nach Kathmandu gebucht hatten. Wir sind fast durchgedreht und es wurde heftig diskutiert. Mein Rad stand im Dunkeln zwischen einem Haufen Menschen, als wir uns bei einem Grenzbüro melden sollten. Kein gutes Gefühl. Aber die Busfahrer würden darauf aufpassen. Der Grenzbeamte teilte uns wieder mit, dass wir hier nicht rüber dürfen. Trotzdem nahm er unsere Pässe und fotografierte jede Seite. Wozu auch immer. Die hitzige Diskussion half nicht, wir wurden zurückgewiesen. Es hieß, wir haben uns nicht richtig informiert und es wäre unsere Schuld. Woher hätten wir denn wissen sollen, wo die Grenze passiert wird und ob man dort nur als Einheimischer rüber darf. Juli telefonierte mit dem Manager der Busgesellschaft. Der konnte gutes Englisch und war sehr lösungsorientiert. Er wusste nicht, wie das passieren konnte und hatte den Fehler direkt auf den Busfahrer geschoben. Er wäre nicht zur richtigen Grenze gefahren. Die Lösung wäre nun, dass uns ein Taxi zu einer anderen Grenze fahren würde, wo wir dann einen lokalen Bus nehmen sollten. Obwohl uns das Taxi bezahlt werden würde, war es für mich inakzeptabel.

Durch die ganze Aktion würden wir wahrscheinlich einen ganzen Tag verlieren, wo wir sowieso schon so wenig Zeit hatten. Julia's Rad und unser Gepäck wurde mittlerweile ausgeladen und lag nun am Straßenrand auf einem Haufen. Umringt von Busfahrern, Passagieren, Passanten und Bettlern. Wie immer prüften wir genau, ob alles da war. Lieder fehlte unsere neue klappbare Isomatte und auch im Bus war sie nicht aufzufinden. Die wurde wohl in der Hektik in Lucknow am Straßenrand vergessen. Das Taxi kam und hatte wie erwartet die klassische Limousinenform, obwohl wir mehrfach erwähnt hatten, dass wir aufgrund der Fahrräder ein sehr großes Taxi benötigen. Der Taxifahrer wollte mir zeigen, wie die Fahrräder und das Gepäck problemlos ins Taxi passen würden. Unsere Antwort darauf war "ok super, und wo sitzen wir, auf dem Dach?" Es dauerte eine Weile bis der angepisste Taxifahrer wieder abfuhr, denn man hatte ihn umsonst geholt. Außerdem wollte er viel mehr Geld haben, als er vom Busfahrer bekommen hätte. Nun standen wir wieder da in einer großen Diskussionsrunde. Wir hatten große Sorge, dass man uns einfach hier am Straßenrand stehen lassen würde. Letztendlich nach etwa 2 Stunden wurde unser Hab und Gut wieder in den Bus geladen. Wir nahmen wieder unsere Plätze ein, der Bus machte kehrt und fuhr zu einer anderen Grenze. Und das nur wegen uns. Wir waren nicht sicher, ob die Passagiere jetzt sauer auf uns waren. Aber letztendlich war es ja nicht unser Fehler. Einer hatte sogar den Bus verlassen uns ging nun zu Fuß über die Grenze.

Langsam bekamen wir Hunger, doch glücklicherweise hielt der Bus an eine Art Rastplatz. Hier gab es traditionelles Thali und wir holten uns noch Snacks für die Fahrt. Auf Google Maps verfolgten wir wieder die Route und waren sicher, dass wir erst am nächsten Tag die Grenze passieren würden. Unser 30-Tage-Visum wird also nicht überzogen, wie zuerst befürchtet.

Wir kamen an der Grenze in Sonauli um 04:00 an. Diese war aber noch bis 06:00 geschlossen. Diese Wartezeit würde man normalerweise mit Schlafen überbrücken. Der Bus wurde abgestellt, somit lief auch die Klimaanlage nicht mehr. So konnte man es im Inneren wegen der schwülen Hitze nicht mehr aushalten. Hinzu kam, dass sich nun diverse Insekten im Bus sehr wohl fühlten und sich über verschwitzte Opfer hermachten. Uns blieb also nur die Möglichkeit ein nettes Plätzchen am Straßenrand zu suchen. Zwischen dem ganzen Müll und Gerüchen war das aber nicht so einfach. Nach einer Weile fanden wir eine Ecke, wo es mal nicht nach Pisse stank, aber da mussten wir aufpassen, nicht von Autos oder Rikschas überfahren zu werden. Kurz vor 6 wollten wir zum Immigrantenbüro, um schnell unseren Ausreisestempel zu bekommen. Aber die Busfahrer teilten uns mit, dass nun die Fahrräder und unser Gepäck aus dem Bus raus sollen. Es hieß, dass wir nicht im Bus sitzen dürfen, wenn der Bus die Grenze passiert. Langsam kamen wir uns echt verarscht vor. Ich diskutierte wieder und meinte dann "Ok, dann gehen wir zu Fuß rüber". Nein, natürlich ging das auch nicht, da der Bus wohl kontrolliert wird und somit auch die Fahrräder raus müssen. So wie sich das anhörte, war es nicht erlaubt, Touristen im Bus zu transportieren. Warum konnten wir denn dann überhaupt Tickets für die Fahrt nach Kathmandu buchen? Es ist doch offensichtlich, dass wir keine Inder oder Nepalesen sind. Es wurde einfach immer absurder. Jedenfalls versprach uns der Busfahrer, dass er uns auf der anderen Seite wieder einsammeln würde. So platzierten wir unser Gepäck erneut am Straßenrand zwischen all den Menschen. Sie versprachen darauf aufzupassen, während wir uns unseren Ausreisestempel holten. Als wir dort ankamen, sahen wir eine lange Schlange und rechneten direkt mit zwei oder mehr Stunden. Aber wir wurden direkt rein gerufen und wir sollten auf den Stühlen vor dem Schalter Platz nehmen. In dem Moment kamen wir uns wieder sehr bevorzugt und privilegiert vor. Nach 20 Minuten war die Ausreise auf dem Papier vollzogen und wir eilten zu unseren Sachen zurück. Ich habe immer kein gutes Gefühl, wenn unser aktueller Hausstand so lange von fremden Menschen "bewacht" wird. Aber es war alles da und wir bepackten die Räder und fuhren über die Grenze. Dort wurden wie gewohnt alle Daten aufgenommen und wie immer kam die Frage auf, wo wir gerade herkommen würden. Hierfür muss ich mir mal eine wirklich dumme Antwort einfallen lassen. Aber man weiß ja nie, ob der Grenzbeamte auch Humor hat. So war die Antwort "Indien" mit dem üblichen herablassenden Grinsen. Hier bekamen wir aber noch nicht den Einreisestempel. Den würden wir im Eingang eines alten Hotels bekommen. Das soll nach etwa einem Kilometer auf der linken Seite kommen. Wir fuhren langsam die Straße entlang und sahen nichts, was irgendwie aussah wie ein Hotel oder Einreisebüro. Und nun? Jetzt waren wir quasi illegal im Land. Wir fuhren hin und her, bis uns Einheimische das Gebäude zeigten, was natürlich auf der rechten Seite zu finden war. Davor war ein kleiner Laden, der auch Kaffee anbot. Doch dafür hatten wir nicht mehr das richtige Geld. An den meisten Grenzen kamen immer Leute auf einen zugestürmt mit der Frage, ob wir Geld wechseln wollen. Ist uns hier noch nicht passiert, daher fragten wir, wo wir Geld wechseln können. Glücklicherweise kam dann ein Mann aus dem Laden gegenüber, nahm unser Geld und war dann erstmal verschwunden. Nach 10 Minuten kam er wieder und wir bekamen unsere nepalesischen Rupies. Diese wurden direkt in Simkarte, Kaffee und Snacks investiert, da wir auch noch kein Frühstück hatten. Die Wartezeit war hier recht kurz und so holten wir unseren Einreisestempel für jeweils 50 US-Dollar. Es hieß immer, die sollten frisch gedruckt und dürfen nicht geknickt sein. Aber wir konnten mit den sogar zwei mal geknickten 50ern bezahlen. Nochmal Glück gehabt. Während wir im Büro saßen kam ein Mann herein und meinte, er habe mit dem Busfahrer telefoniert. Es würde uns genau hier wieder abholen und wir sollen einfach nur warten. Soviel zum Thema Geheimhaltung. Das sollte doch eigentlich keiner wissen. Aber das schien niemanden zu interessieren.

Ich war nach der anstrengenden Nacht sehr müde und legte mich erstmal auf die Bank und machte ein Nickerchen. Juli war viel zu nervös, um zu schlafen. Sie dachte, der Bus wäre ohne uns abgefahren. Nach etwa zwei Stunden ging sie die Straße entlang und traf zufällig einige Passagiere aus dem Bus. Wir schnappten unsere Räder und gingen zum Bus. Der parkte vor einem kleinen Restaurant. Wir nutzten die Gelegenheit und bestellten uns jeweils ein Omelette, nachdem wir unsere Sachen wieder eingeladen haben. Dazu bestellten wir uns noch Kaffee. Der kam aber erst in letzten Moment, als der Bus weiterfahren wollte. Der Versuch, den Kaffee mit in den Bus zu nehmen, ist gescheitert. Er war extrem heiß und wurde in kleinen Pappbechern bis über den Rand serviert. Die Finger waren nur vom Halten schon verbrannt und in der Rempelei im Bus floss der erste Kaffee über Julia's Hand. Der Becher flog vor Schreck direkt wieder durch die Tür aus dem Bus. Ich schaffte es mich gerade noch hinzusetzen, da ereilte meiner Hand das gleiche Schicksal. Mein Becher fand den Weg durch das offene Fenster nach draußen. Frustriert und mit verbrannter Hand ging die Fahrt weiter. Wir waren erleichtert. Jetzt ging es nach Kathmandu. Aber unseren Plan dort am Nachmittag anzukommen haben wir bereits abgeschrieben. Die Straßenverhältnisse waren teilweise noch schlimmer wie in Indien. An Schlafen war auch nicht zu denken, da man permanent durchgeschüttelt wurde und die Beinfreiheit eher für Kinder gedacht war. Die Nepalesen schienen seit dem Grenzübergang bei bester Laune zu sein. Wir saßen plötzlich in einem Party Bus. Es wurde Musik gespielt, alle jubelten und klatschten. Tanzen war bei dem Platzbedarf nur bedingt möglich. Der Gang war zum Teil immer noch voll mit Gepack, aber wenigstens waren unsere Räder diesmal in den Gepäckfächern untergebracht. Gegen Abend kamen wir dann in Kathmandu an.

Es war bereits dunkel, als wie die Räder wieder zusammen steckten und uns auf dem Weg zum verabredeten Abendessen mit Katrin Örtel machten. Sie war die Rettung des Tages, denn sie hatte schon allerlei Gerichte bestellt und wir mussten uns nur setzen und bekamen alles serviert. Das war wirklich ein Träumchen. Schaut gerne mal auf ihrem Blog vorbei: https://katrin-auf-reisen.blogspot.com

Die 22 Stunden Busfahrt hat am Ende über 30 Stunden gedauert. Wir hatten auf unserer Reise schon einige anstrengende Busfahrten und dachten oft, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte. Aber das war mit Abstand die schlimmste, längste und absurdeste, aber auch spannendste Busfahrt, die wir je hatten.

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