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Ägypten: Land und Leute

Kein Land hat uns bisher emotional so stark bewegt wie Ägypten. Was wir gesehen und erzählt bekommen haben, möchten wir daher in einem Extra-Beitrag festhalten. Natürlich hat man sich vorher über das Land informiert und schon vieles in Erfahrung gebracht, aber es ist nochmal was ganz anderes, wenn man mit den Menschen spricht und alles selbst vor Ort hautnah miterlebt.

Hanan und Said:

Das waren die Gastgeber unserer Unterkunft in Gizeh. Nach unserer langen Fahrt in die Nacht und den weniger positiven Ereignissen erwachten wir hier in einem bequemen Bett. An diesem Morgen bekamen wir ein original ägyptisches Frühstück mit Falafel, Bohnen, Brot, Eier und Auberginen. Es war wirklich sehr lecker und das Ehepaar ist so lieb, wir aßen zusammen und unterhielten uns anregend mit den beiden. Sie sprechen sehr gutes Englisch, was zur Abwechslung wirklich sehr angenehm war. Wir lernen bei den beiden sehr viel über die Politik und die Kultur des Landes. Die beiden sind in der Straße vor den Pyramiden geboren und haben ihr ganzes Leben hier verbracht. Said, der Hausherr, hat 10 Jahre in Saudi Arabien als Gastarbeiter so viel Geld verdient, dass er sich den Kauf der Wohnung leisten konnte. Bei der Hochzeit muss der Bräutigam nämlich für die zukünftige Familie eine Eigentumswohnung, die Einrichtung und elektrische Geräte kaufen. Der Vater der Braut bringt die Küche und das Interieur. Das ist der Brauch in Ägypten und wird auch heute noch so gelebt. Das bedeutet, dass die jungen Männer oft erst mit Mitte 30 genügend Geld haben, um sich eine Hochzeit zu leisten. Und wer bis Mitte 30 noch nicht verheiratet ist und Kinder hat, gilt in der Gesellschaft als minderwertig.

Das ist schon ziemlich hart hier. Die beiden scheinen aber recht zufrieden und leben bescheiden, ich nehme an, dass sie von den Einnahmen der Vermietung leben und ansonsten nicht viel brauchen. Wie Said sagt, er möchte nicht mehr arbeiten, er möchte nur zuhause bei seiner Familie sein, denn das ist das wichtigste. Sie haben eine 200 qm große Wohnung. Leider plant die Regierung das ganze einheimische Viertel platt zu machen, um ein rießen Hotelkomplex zu errichten. Viele haben hier Grundstücke erworben, aber die Stadt verbietet ihnen, weiterzubauen, da in 3 Jahren alle ausgezogen sein sollen. Auch Said's Familie ist betroffen, das obere Geschoss des Hauses war für einer seiner Söhne, aber sie durften es nicht weiter ausbauen. Es werden weit außerhalb von Gizeh und Kairo neue Städte gebaut. Dort sollen sie aber nur eine sehr kleine Wohnung mieten, die sie sich aber wahrscheinlich nicht leisten können und bekommen keinerlei Ausgleich zu ihrer Wohnung und die Einnahmequelle der Ferienwohnung fällt weg. Das Eigenheim stellt hier einen enormen Gesellschaftsstatus dar. Unsere Situation, dass wir das meiste verkauft und auch keine Wohnung mehr haben, bewirkt bei den beiden Fassungslosigkeit. Das Eigenheim, wo man die Familie unterbringt steht hier an erster Stelle, alles andere ist nebensächlich. Said versteht auch es nicht, warum man reist, es sei doch viel zu anstrengend. Hanan, seine Frau, zwinkert uns schelmisch zu und sagt, wir sollen nur die Welt erkunden und frei sein, wenn wir das wollen.


Dadurch, dass wir viel Zeit in dieser Unterkunft verbracht haben, bot uns Hanan oft Tee an und hat uns fast täglich zum Essen eingeladen. Erst gab es Kushari, ein leckeres Nudel-Reis Gericht mit Linsen, Tomatensoße und Röstzwiebeln, einen anderem Tag Mashi: Gemüsereis in Kohlblätter. Hanan ist eine hervorragende Köchin und sie erzählte uns allerlei über die Kultur der Ägypter. Da Frauen aufgrund der klassischen Rollenverteilung kaum in der Außenwelt anzutreffen sind (bzw man sieht schon genug Frauen, jedoch kommt man nicht mit ihnen in Kontakt), war es ein ganz besonderer Austausch. Als ihr Mann mal nicht da war sagte sie uns, wie sie uns beneidet. Sie möchte auch die Welt entdecken oder zumindest ihr eigenes Land. Obwohl sie keine 10 Minuten von den Pyramiden weg wohnt, war sie noch nie in einer drin. Sie sei gefangen in diesem Haus. Sie ist erschöpft, dann sie muss den ganzen Haushalt allein machen und hat die ganze Arbeit mit der Vermietung. Sie sorgt sich um ihre jüngste Tochter, da sie nicht weiß wovon sie das Geld für die Schule und Ausbildung ihrer Tochter Farida nehmen soll. Deshalb vermietet sie auch diese Unterkunft, die den Namen "Studio Farida Pyramids View" trägt. Sie will eigentlich auch noch die Hälfte ihrer 200qm Wohnung vermieten, aber ihr Mann verbietet es, weil er Angst vor dem Gerede der Leute hat. Jedoch müssen auch die Nachbarn immer mehr vermieten, weil sie kaum noch über die Runden kommen, sodass er bereit ist, auch darüber nachzudenken. Hanan kann wohl nicht mal mit Freundinnen für eine Stunde das Haus verlassen, weil er nicht alleine essen möchte. Er möchte, dass sie immer zuhause ist und sich um ihn kümmert. Er hat keine Freunde und möchte nur essen, schlafen und fernsehen. Sie bekommt trotz bitten auch keine Hilfe von ihren Söhnen. Sie meint, dass alle Männer in Ägypten so wären. Das stimmt uns sehr traurig und wir wissen nicht recht, was wir darauf sagen sollen. Zum Schluss sagte sie, dass der Austausch mit uns (und natürlich mit anderen Gästen) ihr Highlight in ihrem Leben ist.


Kairo, eine Stadt im Chaos

Aufgrund einer krankheitsbedingten Pause haben wir fast eine Woche in Kairo verbracht. Die Erzählung von Hanan und Said wurden uns auch hier bestätigt. Zudem hatten wir einen Einblick auf das Leben in Kairo. Das kurze Stück von Gizeh nach Kairo sollte mit dem Rad kein Problem sein, dachten wir.

Wie der Straßenverkehr hier abgeht, haben wir ja schon in Alexandria festgestellt. Aber Kairo war nochmal eine ganz andere Hausnummer. Regeln im Straßenverkehr gibt es nicht, lediglich die grobe Richtung der Verkehrsführung ist gegeben. Tempolimit ist meistens nicht erforderlich, da die Straßen einfach nur verstopft sind. Es wird nur gehupt und gedrängelt und durch den Altersdurchschnitt der Fahrzeuge schiebt sich ein starker Smog durch die Straßen. Fußgänger müssen in dem Gedränge eine passende Lücke finden, um mal die Straßenseite zu wechseln. Ampeln gibt es nur sehr wenige. Als wir bei unserer Unterkunft in Kairo angekommen waren, hatten wir Ohrenschmerzen, waren total gestresst und einfach nur froh, dass wir das überlebt haben.


Die Stadt Kairo zerfällt, aber gleichzeitig werden drumherum ganze Städte gebaut, die zum größten Teil leer stehen. Stadtviertel mit neue Wohnungen, die sich kaum jemand leisten kann. Riesige Malls mit unzähligen Geschäften, wo nur eine Handvoll Menschen anzutreffen ist. Um den Verkehr in Kairo und Gizeh in den Griff zu bekommen, werden Straßen über Straßen gebaut. Jedoch benötigen die Menschen hier keine neue Straßen, neue Wohnungen oder Malls, die den Wohlstand darstellen sollen, sondern etwas im Magen. Ägypten steckt in einer enormen Wirtschaftskrise. Die Masse kann sich hier nicht mal mehr das Bohnengericht "Ful" zum Frühstück leisten. Die Preise haben sich in den letzten Monaten verdreifacht. Hinzu kommt die Bedrohung der Ernährungssicherheit durch den Krieg in der Ukraine. So lebt hier fast die Hälfte der Ägypter von nur einem Dollar am Tag. Das bedeutet für die meisten nur Kekse und Brot, weil Brot das einzige Nahrungsmittel ist, was subventioniert wird.


Ländliche Regionen

Viel Landleben haben wir nun durch unsere Planänderung in Ägypten nicht gesehen. Das was wir aber gesehen haben, war jedoch teilweise sehr schockierend. Seitenkanäle des Nils werden als Müllhalden und Abwasserkanäle verwendet, aus Mangel an Alternativen.

Das bräunlich grüne Wasser, was darin noch steht, stinkt bestialisch, doch die Leute sitzen direkt daneben in den Cafés und genießen ihre Shishas. Dasselbe Wasser wird auch wieder hochgepumpt um die umliegenden Ackerflächen des Landes zu bewässern. Die meisten Menschen sind sehr freundlich und grüßen gerne. Autofahrer machen oftmals ein begeistertes Hupkonzert für uns. Kinder rennen uns gerne in Scharen hinterher, was noch recht unterhaltsam sein kann. Oder begleiten uns gerne für ein paar Kilometer auf ihrem Fahrrad. Aber manche betteln sehr aufdringlich mit "money money money". Man kann nur flüchten, weil sie von alleine nicht weggehen und money auch noch zum 100. Mal wiederholen. Zudem sehen wir viele sehr junge Kinder, die alleine in den Shops Sachen verkaufen und Eselwagen mit Essen transportieren.


Wirtschaft und Politik

Ägypten hat kaum Industrie als Einnahmequelle. Landwirtschaft wird hauptsächlich von Kleinstbetrieben und Selbstversorgern betrieben. Für sehr viele Menschen ist der Tourismussektor ist die wichtigste und einzige Einnahmequelle. Wie schon im anderen Beitrag erwähnt sind alle Menschen in dem Sektor einfach nur verzweifelt und versuchen auf penetrante Art und Weise Geld von den Touristen zu bekommen. Von einem Tag auf den nächsten hatten sie ihre Lebensgrundlage durch Corona verloren. Wir sind so viele Frauen begegnet, die am Straßenrand sitzen oder durch den Verkehr laufen, um Tempopäckchen für ein paar Pfund verkaufen. Seit 2020 kamen nur noch wenige Touristen ins Land. Vom Staat ist keine Unterstützung zu erwarten. Die Staatskassen sind leer. Ägypten kann sich nur dank Hilfszahlungen aus Europa und dubioser Geschäfte mit China und Indien mehr schlecht als recht über Wasser halten. In so einer Lage werden auch noch ganze Städte gebaut, die leer stehen und keine Einnahmen bringen. Einfach unbegreiflich.


Fazit

Wir hatten uns nicht speziell auf Ägypten vorbereitet. Warum auch? 10 Millionen Touristen besuchen das Land jährlich. Die meisten davon kommen begeistert zurück. Denn sie alle bewegen sich ausschließlich in der Touristenblase und bekommen von dem Elend des Landes nichts oder nur wenig mit. Schaut man aber rechts und links, wie wir es beim Bikepacking tun, erkennt man die prekäre Situation des Landes. Uns stimmt es einfach nur sehr traurig. Was ist nur aus dieser Hochkultur geworden?

Das alles ist mitverantwortlich, dass unsere Ägyptenreise so war, wie sie war. Sie war sehr herausfordernd und hat uns dazu bewegt unseren Plan, den Nil runter zu fahren, komplett über den Haufen zu werfen. Die Verbote fürs Radfahren sind manchmal echt sinnlos, in einem kommenden Bericht über die Sinai Halbinsel gehen wir da nochmal darauf ein. Das Motto "bike and free" ist in Ägypten kläglich gescheitert. Es ist wirklich schade, aber es war eine wichtige Erfahrung für uns.


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