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Zeitloses Kirgisistan

Wir wollten so schnell wie möglich von Osch (der 2. größten Stadt Kirgisistans) in die Hauptstadt Bischkek kommen, da wir dort unser heiß ersehntes Paket so schnell wie möglich in Empfang nehmen wollten. Dort waren wichtige Ersatzteile drin, die wir nach dem Pamir Highway benötigten. Um uns eine Woche Zeit auf einer vielbefahrenen Straße zu sparen, nahmen wir ein Sammeltaxi, welches uns über Nacht nach Bischkek brachte. Die Fahrt war alles andere als bequem, denn wir wurden aufgrund der Straße ordentlich durchgeschüttelt. Nachdem wir morgens um 6 Uhr aus dem Taxi stiegen, suchten wir uns direkt ein Café, um uns ein leckeres Frühstück zu gönnen. Um 10 Uhr konnten wir dann endlich unser Paket abholen. Das Paket hatten wir mit DHL versendet und war 2 Wochen unterwegs. Wir wurden vorher kontaktiert und uns wurde eine Adresse mitgeteilt, wo wir es abholen konnten. Wir waren sehr erleichtert, dass alles ohne Beschädigung den langen Weg hierher gefunden hatte. Wir verbrachten nur zwei Tage in der Hauptstadt. Diese wurden hauptsächlich für einen großen Fahrrad-Check und Reiseplanung genutzt. Im Oktober wollten wir eigentlich in Nepal zum Wandern sein, was unser nächstes großes Etappen-Ziel war. Allerdings mussten wir aufgrund des fehlenden China-Visums und der Sicherheitsbedenken bezüglich Afghanistans wieder einmal einen Flug buchen, der uns nach Indien bringen soll. Wir hatten noch zwei Wochen Zeit, um das schöne Kirgisistan zu bereisen. Da die Zeit etwas knapp war, verkürzten wir den Weg wieder mit einem Zug zum Yssykköl.

Der Yssykköl ist der zweitgrößte Gebirgssee der Welt, der trotz seiner Höhe nicht einfriert. Obwohl es anfangs regnete, kam nach zwei Stunden die Sonne heraus und wir fanden ein kleines Campingparadies am Ufer des Sees. Hier trafen wir ein Paar, das im Camper reiste und verbrachten einen wunderschönen Abend zusammen.

Am nächsten Tag starteten wir unsere Fahrt zum Songköl, einem Gebirgssee auf 3000 Metern Höhe. Marc fühlte sich nicht so fit und sobald wir in Richtung des Sees abbogen, gab es keine asphaltierten Straßen mehr. Dies machte es uns schwer, da wir neue Reifen hatten, die nicht so guten Grip hatten und wir durch unser Gewicht beim Aufstieg leicht wegrutschten. Wir kämpften uns jedoch langsam, aber sicher die ersten Höhenmeter hinauf und fuhren ein grünes Tal entlang mit allerlei bewirtschafteten Feldern und Tieren. Interessant zu sehen, wie hier die Landwirtschaft teilweise noch konventionell betrieben wurde. Große Landmaschinen waren wir nicht zu finden. Stattdessen wurden Pferde oder Esel zur Hilfe genommen. Sah schon fast mittelalterlich aus, aber hatte einen gewissen Charm. Wir fanden einen traumhaften Schlafplatz an einer großen Wiese, wo uns am nächsten morgen eine große Herde mit Pferden im vorbeilaufen begrüßte. Da Marc etwas angeschlagen war, hofften wir, dass uns ein kleiner Transporter mitnehmen würde, um den besonders steilen und steinigen Abschnitt am Ende zu überspringen. Wir mussten jedoch noch eine Weile strampeln und konnten aber dabei die wunderschöne und idyllische Landschaft genießen, in der die Yaks umher streiften oder wieder eine Herde mit Pferden an uns vorbei zog. Kurz vor dem sehr steilen und schlimmsten Abschnitt der Strecke kam ein Kleinlastwagen und nahm uns gegen eine kleine Summe mit. Im Transporter saß eine lustige Truppe: 2 ältere Herren, ein Junge und eine ältere Dame. Der Laderaum war voller Kuhmist und wir waren erleichtert, dass wir vorne mit Platz nehmen durften. Keine 2 Minuten nach Abfahrt hielt der Fahrer an und es gab erstmal Schnaps für die Herren und mich. Natürlich kam die Idee vom Fahrer selbst und dieser trank auch herzhaft mit. Hälfte der Strecke gab es dann die 2. Runde.

Oben angekommen, wurden wir von etwa 300 Pferden begrüßt, die von einem Zaun in den anderen getrieben wurden. Wir stiegen aus um uns die schöne Abfahrt nicht nehmen zu lassen. Jedoch war es super kalt und windig, weswegen es nicht ganz so schön war wie wir uns das ausgemalt hatten. Kurz vor dem See verließen wir die letzten Schotterpisten und folgten nur noch Reifenspuren, die von den Fahrzeugen in die Graslandschaft gedrückt wurden. Die wurde von unzähligen Pferden bewohnt, die aber einen hohen Bogen um uns machten. Unser Tagesziel war ein Jurten Camp, was uns empfohlen wurde. Von diesen Touristencamps gab es hier jede Menge. Dort leben den Sommer über viele kirgisische Halbnomaden, die sich dem Tourismus und der Tierzucht widmen. Im Winter blieben auch noch ein paar Hütten stehen für den Wintertourismus, es wird aber eisig kalt. Die meisten verlassen in der Zeit die Region. Es waren nur noch 30 Kilometer aber der brutale Gegenwind erschwerte uns den Weg. Kurz vor der Erschöpfung wollten wir schon früher einkehren, aber ich überredete Marc noch bis zu diesem Camp zu fahren, das nur noch 8 Kilometer entfernt war. Diese Entscheidung bereute ich schnell, denn es ging nur noch bergauf und bergab mit Steigungen von bis zu 20 Prozent auf Schotterwegen, sodass wir die Räder schieben mussten. Endlich erreichten wir das von uns gewählte Camp gegen 18 Uhr. Es war ein idyllischer Ort, aber leider sehr kalt. Zum Glück wurde in den Jurten geheizt und es gab leckeres Essen und viele andere Reisende, darunter auch Radfahrer aus Kanada, waren an diesem Abend zu Gast. Wir hatten einen gemütlichen Abend, bevor wir ins Bett gingen.

Am nächsten Tag begann unser Tag mit einem nahrhaften Frühstück mit selbstgebackenem Kuchen und Grießbrei. Wir machten uns auf den Weg und es ging wieder viel bergauf und bergab, während es leicht nieselte. Marcs Rad verrutschte auf der steilen Schotterpiste, fiel um und drehte sich durch den hohen Schwerpunkt auf den Kopf. Dabei fiel eine Ortlieb-Tasche aus den Anbindungshaken und purzelte 200 Meter den steilen Abhang hinunter und landete am Strand des Songköl-Sees. Zum Glück war es die Tasche ohne den Laptop, sonst hätten wir ein größeres Problem gehabt. Ein bisschen nass war die Tasche, aber zum Glück war nichts weiter kaputt gegangen, außer die Anbindungshaken.

Die Stimmung war bescheiden, es wurde zunehmend kalt und es fing an zu hageln. Wir hatten zwar nun die kleinen Hügel hinter uns, dafür aber wieder enormen Gegenwind, und so hatten wir ein ungewolltes schmerzhaftes Gesichts-Peeling. Wir trafen noch einige Reiter zu Pferd, die ihre Schafe oder andere Pferde koordinierten und uns zum Tee einluden. Es war zu verführerisch bei der Kälte aber wir wollten weiter und die gerade sehr ungemütliche Umgebung schnell hinter uns lassen. Nach gefühlt einer Ewigkeit (5 Stunden für 20 Kilometer) erreichten wir den Pass und die Aussicht hellte die Stimmung sofort auf. Plötzlich schien direkt hinter dem Pass die Sonne und es wurde eine wilde Abfahrt. Die Straße war sehr abwechslungsreich: Schotter und Geröll, aber auch mal große Gesteinsbrocken, denen man ausweichen musste. Aber wir erreichten einen paradiesischen Campingplatz im grünen Tal ohne Unfall.

Am Morgen wurden wir von einer Herde Pferde geweckt und fuhren dann vollends hinab zu den ersten Dörfern. Zu Mittag erreichten wir ein Dorf, wo wir endlich wieder Geld holen konnten und gönnten uns zu zweit erstmal drei Mittagessen. Nach den ganzen Strapazen waren wir leicht ausgehungert, weil das Essen langsam auch knapp wurde und es einfach nichts zum einkaufen gab. Weiter ging es auf einer schönen Asphalt-Straße mit wenig Verkehr und tollem Bergpanorama, bis wir einen genialen Camping Spot am Fluss entdeckten. Marc holte noch schnell Wasser beim Bauern und schon konnte auch wieder gekocht werden.

Am nächsten Tag schmerzte mein Knie und gleichzeitig lief uns die Zeit davon. Da wir einen Flug gebucht hatten, wollten wir rechtzeitig am Ort sein um alles in Ruhe vorbereiten zu können. Deswegen wollten wir an diesem Tag trampen und somit 160 Kilometer überbrücken. Aber leider führte uns die Route weg von der Hauptstraße auf eine tolle Schotterpiste, die kaum befahren wurde. Nach 30 Minuten Warten und der Feststellung, dass so schnell kein Transporter kommen würde, ergaben wir uns unserem Schicksal und fuhren weiter auf der Rillenfahrbahn los. Wir kamen wieder kaum voran, aber um 16 Uhr hatten wir Glück und ein Kohletransporter nahm uns mit. Somit hatten wir härtesten Teil überwunden. Am nächsten Tag erreichten wir die Haupt Verbindungsstrasse zwischen Bischkek und Osch. Da mein Knie noch immer schmerzte, hofften wir auch hier auf ein Transporter. Währenddessen haben wir noch lokalen Honig gekauft. An den Ständen gibt es neben Honig auch Stutenmilch, die hier überall verehrt wird. Ein klappriger Transporter hielt an und nahm uns mit. Seine Ladefläche war leer, sodass wir hinten samt den Rädern und Gepäck Platz fanden,

Nachdem uns der Transporter wieder rausgelassen hat und wir uns im Restaurant gestärkt hatten, ging es zum letzten Pass. Nach etwa zwei Stunden war dieser bezwungen und es ging endlich nur noch abwärts. Wir suchten für die Nacht eine Jurte, da es unglaublich kalt draußen war und ich nicht mehr frierend wach liegen wollte. Wir wurden bei einem Restaurant fündig, der uns zum Abendessen Fisch anbot. Er meinte, dass wir darin schlafen dürfen, wenn wir nicht erfrieren. Aber dort gab es jede Menge Decken, die man einfach stapeln konnte. Bevor es Essen gab, mussten wir uns erst den Fisch aussuchen. Er wurde aus dem Teich gefischt und vor unseren Augen getötet und gewogen.

Am nächsten Tag erreichten wir gegen Mittag die Stadt Talas, eine ehemalige deutsche Siedlung. Ab 1920 sind viele deutsche Mennoniten aufgrund mehr erhoffter religiöser Freiheit nach Kirgisistan ausgewandert. Wir hatten uns ein Gasthaus genommen, deren Besitzerin deutsch an der Schule unterrichtete. Sie versorgte uns mit exzellentem Essen und wir hatten seit 8 Tagen mal wieder eine richtige Dusche, eine echte Wohltat. Am Morgen ging es uns gar nicht gut, vllt hatten wir mal wieder was Falsches gegessen. Den Tag davor hatten wir ein kleinen Snack an einer Dönerbude. Bis 11 Uhr mussten wir noch ausruhen, obwohl wir um 8 Uhr losfahren wollten. Daher versuchten wir wieder zu trampen, was leider nur für 20 statt erhoffte 50 Kilometer geklappt hat. Wir hatten nämlich noch 90 Kilometer bis zur kasachischen Grenze und diese wollten wir heute noch überqueren. Also mussten wir trotz Magen- und Kopfschmerzen die Zähne zusammenbeißen und durch. Auf der Route lag noch eine beeindruckende Talsperre, die zum Großteil leider schon ausgetrocknet ist. Aber man erkennt noch die Rillen des ursprünglichen Sees, was optisch wirklich was hermacht. Leider werden wir auf unserer Reise sehr oft direkt mit dem Klimawandel konfrontiert und gerade an den Seen kann man ihn unmöglich übersehen.

Gegen 18 Uhr erreichten wir die Grenze, wechselten noch schnell das restliche Geld und fuhren problemlos rüber. So einen einfachen Grenzübergang hatten wir selten und bekamen obendrein noch eine 7 Kilo schwere Honigmelone von den Soldaten geschenkt, die quasi von einem der LKWs "gefallen" war. In der Dämmerung suchten wir uns einen Schlafplatz versteckt im Busch neben einem Dorf und Marc entdeckte seinen ersten Speichenbruch. Das Hinterrad hatte nur sehr leicht geeiert, dass Marc erst dachte, er müsse nur die Speichen nachziehen. Die Felge war insgesamt so stabil, dass man trotz Speichenbruch und der enormen Belastung problemlos damit hätte weiterfahren können. An der Stelle Kompliment an Tommy von https://tommys-fahrradhus.de/, der uns hochstabile Felgen für die Reise gebaut hat. Nun kamen zum ersten Mal die Ersatzspeichen zum Einsatz, die Tommy uns mitgegeben hatte und Marc konnte Das Hinterrad in kürzester Zeit reparieren.


Morgens ging es schon um 6 Uhr aus dem Zelt, denn wir wollten einen Zug von Taras nach Schymkent nehmen. Jedoch durften wir hier keine Räder mit in den Zug nehmen, und somit verweigerte uns die Dame hinter dem Schalter den Ticketverkauf. Völlig verblüfft und niedergeschlagen saßen wir ratlos da, als plötzlich ein Sicherheitsbeamter herkam und aufgeregt winkte. Wenn wir Geld haben, sollten wir schnell kommen. Wir wurden hinter den Zug geschleust und sollten dort einsteigen, alles musste ganz schnell gehen und wir wurden gebeten, niemanden davon zu erzählen. Mit 20 Euro Bestechungsgeld hatten wir somit die Fahrt gewonnen und den Schaffner glücklich gemacht. Er hatte den Zugangsbereich, wo unsere Fahrräder hochkant an der Tür standen abgeschlossen. Zufrieden erreichten wir nach 4 Stunden und 300 Kilometer Schymkent und bezogen unser Hostel für die nächsten 4 Tage. Hier wurde an den Berichten und Videos gearbeitet und die Fahrräder für den Flug nach Indien verpackt. Nebenbei planten wir unsere Weiterreise nach Nepal. Wir freuten uns auf ein neues Land und eine komplett andere Kultur.


Fazit Kirgisistan:

Manchmal weiß man nicht, in welchem Jahrhundert man sich befindet. Während die moderne Welt in den großen Städten angekommen ist und zum Teil noch von sowjetischen Merkmalen geprägt ist, zeigen sich die Dörfer eher wie im Mittelalter. Auch die Landwirtschaft wird hauptsächlich mit konventionellen Mitteln betrieben. Vereinzelnd tauchen auch hier die eher veralteten Arbeitsmaschinen auf. Ansonsten haben die Bauern eher die Sense in der Hand und nutzen Pferde und Esel als Arbeitstiere. Man begegnet zudem immer mal wieder ganze Pferde- oder Schafsherden, was bei der Fahrt über Land für eine mittelalterliche, aber sehr angenehme Atmosphäre sorgt.

Die Landschaft ist unglaublich schön, wenn auch etwas karg. Aber definitiv sehenswert. Touristen haben wir einige getroffen, der große Massentourismus ist hier aber eher nicht zu finden, was recht angenehm war. Für alle Pferde- und Wanderfans ist das Land ein absolutes Highlight. Zudem haben wir uns sehr sicher gefühlt, man wird überall sehr herzlich aufgenommen, das war schon besonders. Der Mix zwischen islamischer Gastfreundschaft und noch sowjetischen Strukturen gefiel uns sehr gut.


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