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Kangalparty über Ankara

Aktualisiert: 5. Juni 2023

Der Regen hat endlich mal für einen Tag aufgehört und wir machten uns auf den Weg nach Ankara. Der Weg aus Istanbul raus Richtung Osten war etwas angenehmer zu fahren als in der Stadt selber. Es ging an wunderschön angelegte Parkanlagen am Marmarasee entlang. Was uns hier nochmals auffiel, waren die vielen Katzenhäuser, die bereits in der ganzen Stadt verteilt zu finden waren. Die türkischen Anwohner kümmern sich hier liebevoll um die Tierchen, stellen wasserdichte Häuser auf und verpflegen sie mit Futter und frischem Trinkwasser. Auch den Straßenhunde ging es hier gut, viele ließen sich streicheln und sahen wirklich sehr gut genährt aus. Im Park saß fast bei jedem Mensch ein Kätzchen und ließ sich streicheln, sowas hatten wir noch in keinem anderen Land gesehen.

Es folgte - wie so häufig, wenn man aus großen Städten fuhr - viel hässliche Industrie und die Straßen wurden dann relativ unentspannt. Der Seitenstreifen ist manchmal einfach verschwunden und die LKW Fahrer waren nicht gerade zimperlich oder hatten keine Ausweichmöglichkeiten und fuhren oft nur um Haaresbreite an uns vorbei. Der Corona Abstand wurde hier definitiv nicht eingehalten. Mir war dabei gar nicht wohl und oftmals zitterte ich vor Adrenalin. Trotzdem erreichten wir am Abend ohne Zwischenfälle unseren Warmshowersgastgeber Ceyhun, ein junger Kunstprofessor in dessen Arbeitszimmer wir auf der Couch nächtigen durften. Seine Freundin und er zauberten uns noch ein leckeres Abendessen: typisch türkisch Reis und Salat, dazu Ayran. Wir waren so froh, diese Nacht im Warmen zu sein, denn die Temperaturen machten uns doch etwas zu schaffen. An die 13 Grad tagsüber und nachts oftmals unter 5 Grad. Nach einem langen gemeinsamen Frühstück durften wir dann im Nieselregen weiterstrampeln, leider immer noch auf viel befahrenen Straßen. Aber da musste man eben auch mal durch. Am Mittag hielten wir kurz an einer Mall, um bei Deichmann ein Imprägnierspray zu kaufen, denn meine Regenjacke gab langsam den Geist auf.

Wir hatten noch eine alte Wurst dabei, die uns beiden nicht besonders gut schmeckte und verfütterten sie an einen lieben schwarzen Hund vor der Mall. Die Straßenhunde lungerten gerne vor Malls und Supermärkten, weil da wohl öfters mal was für sie runterfiel. Dieser bekam natürlich auch noch ein paar Streichelheiten, die wir sofort bereuten. Wir steuerten ein Restaurant keine 300 Meter weit an, und der Hund folgte uns ganz selbstverständlich neben dem Rad. Wir versteckten uns sogleich im Restaurant in der Hoffnung, ihn abgeschüttelt zu haben. Danach ging es leider wieder auf die Autobahn und unser vierbeiniger Verfolger hat uns wieder aufgespürt. Er rannte uns über 5km auf der Autobahn hinterher. Auch wenn der Seitenstreifen viel Platz bot, war es einfach nur gefährlich für ihn. Mir blutete das Herz den Hund hechelnd abzuhängen und wir entschlossen uns, immer Hundefutter dabei zu haben. Damit waren sie nämlich vom Essen abgelenkt und wir konnten unentdeckt abhauen. Nach einer Weile verließen wir endlich die Schnellstraße und fuhren auf kleinen Landwegen weiter. Wir erhofften uns nämlich einen Schlafplatz neben einem Fluss zu finden. Leider waren wir etwas wählerisch, einmal war der Untergrund zu steinig, dann der Abhang zu steil um die Räder wieder hoch zu bekommen oder wir waren zu nah am Ort. Dann fanden wir eine perfekte Hütte mit Überdachung, die verlassen schien. Als wir unsere Räder abstellten und ich misstrauisch den Vorhang vor der Türe des Hauses beäugte, stellte ich fest, dass sich etwas bewegte und jemand rauskam. 4 gefährlich süße kleine Welpen stürmten schwanzwedelnd auf uns zu. Bitte nicht nochmals eine Welpen Rettung. Dann sahen wir uns die Hütte an, dort lag eine Matratze auf dem Boden und Jacken hingen an den Wänden. Daher wohnte hier wohl jemand und kümmerte sich hoffentlich auch um die Kleinen. Da wir die Person nicht stören wollten und wir auch nicht recht wussten, wer darin hauste, entschieden wir uns wieder vor den Welpen zu fliehen und weiter zu suchen. Langsam wurde es schon dunkel und wir fanden einen abgeschlossenen Campingplatz, der aber einen Vorplatz hatte, auf dem wir einfach unser Zelt aufschlugen. Hier hatten wir wieder Besuch von einem Jagdhund, der uns in der Nacht bewachte. Es hatte auch geregnet und der Arme harrte die ganze Nacht draußen vor unserem Zelt aus. Am nächsten Morgen folgte er uns noch 2 km, ließ uns dann aber ziehen, denn sein Jagdtrieb wies ihn in eine andere Richtung. Es ging noch weiter bergauf Richtung Mudurnu. Das ist ein nettes Bergdörfchen, welches auf der Liste steht, UNESCO Weltkulturerbe zu werden. Wir wählten es jedoch als Ziel, weil wir die Disney-Schloss-Siedlung Burj Al Babas mit eigenen Augen bestaunen wollten. Es ist eines der vielen Projekte, die von der Regierung beschlossen wurde und deren Sinnhaftigkeit zu bezweifeln ist. Viele Türken haben uns schon zu verstehen gegeben, dass sie mit der jetzigen Regierung unzufrieden sind, bzw sogar darüber hinaus nachdenken auszuwandern, sollte Erdogan an der Macht bleiben. Es war eine spannende Zeit, denn in 3 Wochen waren hier Präsidentschaftswahlen und Erdogan kippelte zum ersten Mal. Die aktuelle Regierung gibt wohl viel Geld für zahlreiche umstrittene Bauprojekte auf: Flughäfen in sehr kleinen Städten, die kaum benutzt werden oder Brücken über Flüsse, die keiner benötigt. Und dann eben diese Siedlungen wie das Burj Al Babes, welches 578 kleine Disney Schlösschen wie Legosteine aneinander reiht. Diese Siedlungen sollen Reiche aus den Emiraten anziehen, die dort ihre heißen Sommer im kühlen Bergklima in Zentralanatolien verbringen sollen. Jedoch war da wohl kein Interesse und der Bau ist seit 10 Jahren gestoppt, weil die Firmen mittlerweile bankrott sind. Das Gelände war auch nur von außen zu beobachten, denn es ist eingezäunt und wird streng bewacht. Also leider kein "Lost-Place-Disneyschloss" zum Übernachten, daher bauten wir unser Zelt daneben auf einem Hügel auf und hatten somit einen schönen Ausblick auf das Disney Dorf.

Am nächsten Morgen wurden wir von einem Wachmann befragt, ob wir das Gelände illegal betreten hätten und wenn dem so sei und er die Beweise auf den Kameras entdeckt, würde er sofort die Polizei holen. Es gibt noch weitere solche Siedlungen, die auch für die einheimische Bevölkerung gedacht war. So erfuhren wir, dass viele Leute 2013 ein Häuschen in einer ähnlichen Siedlung ergatterten, welches 2015 fertig gestellt werden sollte. Heute (mittlerweile 2023) ist nur der Rohbau fertig und die Leute haben weder ein Haus, noch wird ihnen das Geld erstattet. Ob ein Investor gefunden wird, um das Projekt wieder voranzutreiben, ist ungewiss. Daher ist es auch absolut verständlich, dass sich die Begeisterung für solche fragwürdigen Bauprojekte bei den Einheimischen in Grenzen hält, um es mal milde auszudrücken.

Weiter ging es berghoch über einen Schotterweg durch einen schönen Wald und wir hatten anschließend eine angenehme 30 km Abfahrt. Im nächsten Ort Nallihan machten wir unsere Mittagspause und bestellten ein türkisches Frühstück für zwei. Es war wie bei "Tischlein deck dich". Immer mehr kleine Schalen wurden darauf platziert. Es war unglaublich lecker und sehr vielfältig.

Wir hatten kurz davor noch Türken am Tisch, die uns erzählten, dass wir bald in einem bekannten Vogelgebiet vorbei kommen sollten. Als wir aus dem Kessel von Nallihan fuhren, waren wir fasziniert von den vielen wechselnden Farben in der Landschaft. Die letzten Tage waren eher von bewaldeten Bergen geprägt, die in jedem erdenklichen Grünton schimmerten. Nun war eine Felsenlandschaft zu sehen, deren Sedimentschichten eine Vielzahl an Farben hatten, die nach jedem überquerten Hügel wechselten. Ich dachte mir, hier hat der liebe Gott die Farben her. Von rot über lila bis hin zu mintgrün war alles vertreten. Nur leider kam das auf den Bildern gar nicht so toll rüber. Schöner kann die Landschaft kaum werden, dachten wir, als wir plötzlich vor einem riesigen Naturschutzgebiet standen. Ein See, umrandet von vielen Grüntönen und dahinter ein Fels, dessen obere Sedimentschicht pink schimmerte. Über unseren Köpfen segelte hunderte von Zugvögel. Atemberaubend! Ein besonderer Moment und wir staunten, was sich Mutter Natur so ausdenken konnte.

Die schöne hügelige Landschaft bescherte uns aber auch viele Höhenmeter. Eigentlich waren für die 200km bis Ankara nur 2 Tage geplant, aber die ca. 1200 Höhenmeter pro Tag schlauchten mich extrem. Nach 80km tat mein ganzer Körper weh und wollte einfach nicht weiter fahren.

Marc wartete an einer Tankstelle auf mich, denn er wollte mich mit Proviant versorgen, damit ich noch 30 km weiterfahren konnte. Was Google Maps jedoch nicht wusste war, dass die Tankstelle mittlerweile verlassen war. Ein Phänomen, was wir hier in der Türkei häufig feststellen mussten. Da ich nicht weiter wollte bzw. konnte, entschieden wir einfach hier zu schlafen. Wir hatten sogar Glück: ein Raum war offen, somit hatten wir ein Dach über dem Kopf und sogar Wasser und Toiletten. Und es war deutlich wärmer als im Zelt, denn die Nächte waren gerade bis zu 0 Grad kalt. Am nächsten Tag ging es dann hoch hinaus, wieder auf über 1000 Höhenmeter. Dafür wählten wir eine Route fernab der Bundesstraße. Wir hatten ein ausgewogenes Mittagessen und noch einen Kaffee bis wir uns an den Berg machten. Endlich wurde es mal richtig warm. Oben angekommen suchten wir uns heute mal früher einen Schlafplatz. Da wir aus den 2 Tagen nach Ankara 3 Tage machten, hatten wir etwas Luft und konnten uns etwas entspannen. Die letzten Tage waren geprägt von spät ankommen, schnell Zelt aufbauen und dann noch kochen müssen. Ganz oben auf dem Berg hatte Marc glücklicherweise einen Weg abseits der Straße gefunden, denn hier fuhren viele LKWs durch ein Bergabbauwerk ständig hoch und runter. Von weitem erkannte ich schon einen Kangal und wies Marc darauf hin. Der berühmte türkische Kangal wird als Schutzhund oder Hirtenhund eingesetzt, ist aber auch überall als Streuner zu finden. Sie sind vergleichsweise riesig und haben eine höhere Beißkraft als Löwen. Somit können sie es leicht mit Bären und Schakalen aufnehmen und dabei Schäfchen und Menschen beschützen. Sind sie mit einer Herde unterwegs, sind sie im Beschützermodus und mögen es gar manchmal gar nicht, wenn wir auf den Rädern vorbeirollen. Aber sonst sind sie eigentlich sehr friedliche und schöne Tiere, denen man aber trotzdem mit Respekt begegnen sollte. Auf unserem Berg hatten wir eine geniale Aussicht auf Ankara und schlugen schnell das Zelt auf. Wir lagen bereits früh darin um uns auszuruhen und kochten aufgrund der Kälte auch im Vorzelt. Plötzlich stand ein riesiger Kangal vor dem Zelt. Etwas eingeschüchtert gingen wir aus dem Zelt und fragten den Kangal höflich, ob wir hier nächtigen dürfen. Denn möglicherweise ist das hier sein Territorium und ein Versuch sein Revier an meinem Fahrrad zu markieren, bestätigte das. Unser jämmerlicher Bestechungsversuch schlug fehl, denn die kleinen Hunde-Leckerlis waren eines ausgewachsenen Kangals nicht würdig. Aber er stellte sich als sehr freundlicher Nachbar heraus und wir fühlten uns akzeptiert, da er unsere Streicheleinheiten als Gegenwert annahm. Kurze Zeit später kam plötzlich das ganze Rudel herbei. Plötzlich waren 8 Kangale um uns und es wurde ordentlich gebellt und geknurrt. Aber sie hatten wohl nur untereinander ein paar Unstimmigkeiten, die schnell bereinigt waren und düsten zusammen weiter. Ein paar mal kamen sie noch vorbei um sich ein paar Streicheleinheiten abzuholen, aber der Großteil war sehr schüchtern. Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich wach, schon von der Ferne hörte ich die Glocke (welches einer der Kangale um den Hals trug) und die Schritte der Hunde immer näher kommen. Marc schnarchte lautstark, womit die Kangale wohl nicht einverstanden waren. Sie bellten und knurrten direkt das Zelt an, da wurde mir schon sehr mulmig. Aber nachdem Marc dann auch endlich wach war und nicht mehr schnarchte, beruhigten sie sich wieder. Die auf dem Boden liegenden Leckerli wurden hörbar verspeist und nach ca. 5 Minuten zogen sie weiter. Leider verlief die Nacht unruhig, immer wieder Jaulkonzerte und Machtkämpfe zwischen den Kangalen. Diese Hunde hatten wirklich viel Energie. Tagsüber Schafe hüten und sich nachts mit der Nachbarschaft prügeln. Am nächsten Morgen als wir den Platz verließen, waren sie auch schon wieder an der Arbeit bei den Schafsherden.

Es ging bergab nach Ankara - die Hauptstadt der Türkei. Hier fuhren wir viel Autobahn, was vor allem bei Ausfahrten immer recht anstrengend war. Die Türken sind nicht zimperlich, ziehen immer in der letzten Sekunde rüber und manchmal echt sehr knapp. Aber wir wollten in Ankara einige Dinge erledigen, daher mussten wir da einfach durch. Die Stadt hatte einiges zu bieten: BAUHAUS, Decathlon und Mediamarkt. Wir brauchten Schrauben, Flaschenhalter und neue Kopfhörer. Alles erledigt.

Anschließend mussten wir uns weiter durch die Stadt kämpfen, denn wir hatten wieder eine Warmshower Unterkunft im Süden der Stadt. Was uns nicht bewusst war, dass Ankara sehr bergig war. Insbesondere der letzte Kilometer zu unserem Ziel war der anstrengendste letzte Kilometer, den wir je hatten. Zum Glück gab es einen Aufzug in dem Hochhaus, wo sogar die Fahrräder im Hochformat Platz fanden. Wir durften auf dem Sofa im Meditationsraum schlafen. Sarper und Gisem, ein frisch verheiratetes Ehepaar, hatten eine tolle Wohnung mit der modernsten Technik. Für alles gab es ein Gerät: Staubsaugerroboter, Teemaschine, türkischer Kaffeemacher, Wasserspender. Es wurde herrlich für uns gekocht, anschließend gab es noch Kaffee und Tee. Es war unheimlich nett mit den beiden, sehr weltoffene Menschen, mit denen es Spaß machte, sich zu unterhalten. Sie war Anwältin und tat sich schwer in Ankara, denn sie vermisste ihre Heimat Izmir und das Meer. Er war Ingenieur und hatte die letzten 4 Jahre im Tanzania gearbeitet. Am nächsten Morgen brachte Sarper uns erst zur chinesischen Botschaft (die niemand ohne Termin hereinließ) und dann zur turkmenischen Botschaft. Hier wollten wir nach einem Transitvisa fragen, jedoch brachte uns der Besuch nicht viel, denn für jegliche Art von Visa braucht man eine Einladung. Diese würde man von einem Einheimischen oder alternativ von einer Reiseagentur erhalten. Schwieriges Thema, was uns noch eine Weile beschäftigen würde. Anschließend tigerten wir noch durch das teure Viertel und suchten nach einem Frühstückslokal mit normalen Preisen, was hier unmöglich schien. Wir fanden einen Kompromiss und nutzen noch die Zeit für ein bisschen Recherche bezüglich Turkmenistan und Iran Visa. Danach schauten wir uns noch das Heiligste der Türken an: die Gedenkstätte von Atatürk, dem Gründer der Türkei nach dem Osmanischen Reich. Mustafa Kemal erhielt den Namen Atatürk (Vater der Türken) 1934 in einer Nationalversammlung und wird heute noch stark verehrt. Er steht für Moderne und Demokratie und setzte sich stark für eine Trennung von Religion und Politik ein. Seitdem veränderten zahlreiche Reformen das Leben der Türken radikal: er führte die Einehe ein, sowie das passive und aktive Frauenwahlrecht. Zudem galt von nun an die europäische Gesetzgebung und den gregorianischen Kalender. Erdogan bewegt das Lang gerade wieder in die entgegengesetzte Richtung: weg von Europa Richtung Islamisierung.

Nach der Sightseeing Tour mussten wir erstmal ein kleines Nickerchen machen und saßen anschließend wieder mit unseren Gastgebern zusammen. Es gab unser Lieblingsessen: Cigköfte. Das war ein Wrap mit Salat und einer Bulgur-Paste. Es war auch ein perfekter Mittagssnack und kostete etwa nur einen Euro pro Wrap. Als Dankeschön gab es von uns Kuchen zum Nachtisch, den wir von einem Café mitgebracht hatten. Es war schön bei den beiden, aber wir freuten uns schon sehr auf unsere Weiterfahrt und unser nächstes Ziel: Kappadokien!

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